Jenseits aller Sicherheiten
Wayne McGregor und Random Dance mit „FAR“ beim tanzmainz-Festival
Blau ist seine Lieblingsfarbe – unter all den Projektionen und Lichtorgien, mit denen der Choreograf Wayne McGregor arbeitet, taucht immer wieder ein eisig leuchtendes Tiefblau auf, dessen untermeerische, futuristische Suggestivkraft ihn offensichtlich fasziniert. McGregor ist seit Jahren eine feste Größe der Londoner Off-Tanzszene, seit kurzer Zeit arbeitet er auch bei größeren Kompanien – vor einem Jahr hat er fürs Stuttgarter Ballett das donnernde, schnelle Cyberspace-Ballett „Nautilus“ choreografiert und im letzten Herbst „Qualia“ fürs Royal Ballet. Am Wochenende zeigte er mit seiner eigenen Kompanie Random Dance, der „Company in Residence“ beim Londoner Sadler‛s Wells Theatre, einen dreiteiligen Abend in der Ludwigsburger Karlskaserne. „Nemesis“ ist eigentlich ein abendfüllendes Werk, in dessen mittlerem Teil die Tänzer rüstungsartige Prothesen anziehen und wie futuristische Insekten aussehen. In Ludwigsburg waren nur der erste und der letzte Teil zu sehen: abstrakte Tänze, die durch Projektionen irgendwo zwischen Reality-TV und Science-Fiction angesiedelt sind und das Verschwinden der Menschen in der digitalen Welt zum Thema haben.
Getanzt wird zunächst vor Diaprojektionen aus einer leeren Wohnung, in Paaren, Trios oder auch größeren Gruppen. Später tauchen die gestochen scharfen Projektionen auch auf dem Boden auf – ein digitales Gitterspielfeld, ein computergeneriertes Dschungelmuster. Bedrohlich echt sieht dann wieder der projizierte Feuersturm aus, der zu immer heftiger drängender Rockmusik im Hintergrund lodert, bevor schließlich die Tänzer verschwinden und in den digitalen Bildern wieder auftauchen – als pure Projektionen. Choreografisch überrascht dabei, wie wenig McGregor sich von der klassischen Ästhetik entfernt – Arme und Beine seiner Tänzer bleiben meistens gestreckt, es gibt kaum abgeknickte Hände oder Füße, der Bewegungsstil nähert sich höchstens manchmal der Robotermechanik an und ist lange nicht so kleinteilig aufgesplittet wie bei „Nautilus“ oder „Qualia“.
Anders sieht das im darauffolgenden Solo aus, wenn McGregor selbst tanzt. Auf der Leinwand winden sich zwei psychedelische Plasmawesen, Augen, Scheinwerfer oder bloße Computerkleckse, davor windet sich sich der Choreograf wie eine riesige weiße Made, verschiebt die Schultern und Arme gegeneinander, als sei sein Körper fremdbestimmt und werde von einem Alien bewohnt. Aus den zwei Amöben im Hintergrund werden schließlich merkwürdige, feingliedrige Flügelwesen, elfengleiche Horrorinsekten, mit denen McGregor tanzt, bevor er im dunklen Nichts verblasst – ein fremdartiges, in seinem Schwanken zwischen Ekel und Schönheit geradezu hypnotisches Solo. „Polar Sequences“, das letzte Stück, fängt zwar mit Purcell-Klängen an, landet dann aber ziemlich schnell bei demselben pulsierenden Beat der vorherigen Stücke, der sich langsam in Tempo und Lautstärke bis zum martialischen Punk steigert. McGregor arbeitet auch hier wieder mit dem Komponisten und DJ Scanner zusammen, dessen repetitive elektronische Rockmusik einen guten Teil der Wirkung dieser Tanzstücke ausmacht, ebenso wie Licht und Projektionen.
Obwohl die Random-Tänzer gut ausgebildet und außerdem recht eigenwillige Typen sind, fällt doch auf, wie viel schneller und auch einfallsreicher McGregors Arbeiten aussehen, wenn er mit Balletttänzern arbeitet – als wäre deren klassischer Bewegungskanon eine zusätzliche Inspiration in seiner durchdigitalisierten Choreografen-Welt. „Nautilus“ und „Qualia“ waren sehr viel kleinteiliger in den Bewegungen, beide Stücke hatten aber auch eine spannendere Dramaturgie im Gegeneinander der großen, synchronen Gruppen gegen Soli oder Duos. Und der sinnliche, manchmal hocherotische Pas de deux für Leanne Benjamin und Edward Watson am Schluss von „Qualia“ scheint auf eine andere, neue Qualität des Choreografen McGregor hinzudeuten, die in den Stücken dieses Ludwigsburger „Triple Bill“ noch nicht zu sehen war.
Gastspiel in Ludwigsburg: 19.6.2004
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