Tanz unter Laborbedingungen

Wayne McGregors „Entity“ eröffnet die Tanzreihe der Schlossfestspiele

Ludwigsburg, 18/06/2008

Was hat er nicht alles erreicht seit „Nautilus“, seinem ersten Stück beim Stuttgarter Ballett im Jahr 2003. Damals galt Wayne McGregor noch als Neuentdeckung aus der Off-Szene und arbeitete zum ersten Mal mit einer großen Ballettkompanie. Heute hat der kahlköpfige Brite den Sprung von der Off-Szene in die arrivierte Kunst vollzogen, er ist Hauschoreograf beim renommierten Royal Ballet, arbeitet für Andrew Lloyd Webber und für die „Harry Potter“-Filme, wird in London mit Preisen überschüttet und gilt mit seinen computerinfizierten Stücken als einer der zukunftweisenden europäischen Choreografen. Mit Random Dance, seiner eigenen kleinen Londoner Truppe, war McGregor jetzt erneut zu Gast in Ludwigsburg, wo er in der Karlskaserne die Tanzreihe der Schlossfestspiele eröffnete.

Das einstündige „Entity“ - der Titel bedeutet Wesen, Existenz - ist grade mal einen Monat alt und findet wie alle Stücke McGregors in der bekannten hochtechnisierten Umgebung statt, mit Ravi Deepres' digitalen Projektionen auf einer Demonstrationsleinwand im Hintergrund, wo in Zahlen, Zeichnungen oder Mikroben das Wissen des Menschen vorbeiflimmert, und mit einem Lichtdesign in den unwirklichsten Schattierungen von Schmutzigbraun bis Swimmingpool-Türkis. Bedrohlich gesteigerte Streicherelegien klingen gegen treibende elektronische Beats an, über die weißen Trikots der sechs Männer und vier Frauen ziehen sich schmale DNA-Strichmuster wie in der Verbrecherkartei. Zwar macht McGregor, der durchaus emotional oder erotisch choreografieren kann (siehe „Qualia“ beim Royal Ballet), bei aller Uniformität der Trikots noch Unterschiede zwischen den Geschlechtern, aber die Duos wirken hier abgezirkelt und kühl, sie funktionieren nach Impulsen statt Gefühlen. Getanzt wird barfuß, in einem merkwürdig uneinheitlichen Stil: Beine und Füße der Tänzer bleiben meist dem Ballett treu, darüber aber winden sich Oberkörper und Arme in schlangenartigen Kontorsionen, die bei Überdosis leider manieriert wirken. Geometrisch sauber gestreckten Beinen und Füßen stehen also extrem abgeknickte Hände gegenüber, Wellen laufen durch Rückgrat oder Hals.

Obwohl McGregor seinem Stil die unterschiedlichsten Färbungen von roboterhaft bis lasziv geben kann, obwohl er auch das Tempo ab und zu variiert, wirkt der Abend mit zunehmender Dauer erstaunlich gleichförmig. Mag sein, dass dem Stück doch die Abwechslung fehlt - fast immer wird aufrecht getanzt, selten auf dem Boden, in Hebungen oder Sprüngen -, mag sein, dass der bewusst experimentelle Charakter mit der ständigen Abfolge reinlaufen, tanzen, rauslaufen einfach auf die Nerven geht. McGregor setzt seine Tänzer nicht als Menschen ein, sondern wie Ziffern in einer Versuchsanordnung, die rastlos immer wieder kommen und nicht müde werden.

„Entity“ ist ein wissenschaftliches Experiment, wir blicken auf die Bühne wie in ein Labor, als distanzierte und interessierte Beobachter. Wir werden nie hineingesogen ins Geschehen - wahrscheinlich zu unserem Glück. In zwei Jahren, so wusste jüngst die „Welt“ zu vermelden, soll Wayne McGregor dann wieder etwas fürs Stuttgarter Ballett choreografieren, dessen schnelle Tänzer ihn schon zu zwei sehr viel aufregenderen Stücken animiert haben.

Links: www.randomdance.org / www.schlossfestspiele.de

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