Crankos Erbe
Das Stuttgarter Ballett trauert um Dieter Graefe
Am Wochenende tanzte Maria Eichwald ihre ersten beiden Vorstellungen als neues Mitglied des Stuttgarter Balletts. Wie in München mit Auftrittsapplaus begrüßt, setzte sie in der beginnenden „Giselle“-Serie für die Titelrolle neue Maßstäbe. Augenblicklich elektrisierte sie mit ihrer Präsenz und reihte eine tänzerische Stärke an die andere: Aufblitzende Grand Jetés, hohe Beine, souverän balancierte Arabesken, dazu eine hochmusikalische Phrasierung und Stilsicherheit. Dies alles mit märchenhafter Getragenheit getanzt, zu der sie erst in den letzten Jahren ihrer Reife gefunden hat. Oder lag es daran, dass sie nach der Samstagabend-Vorstellung bereits um 15 Uhr wieder auf der Bühne war?
So oder so zeigte sie eine lyrische Giselle, keine heiter verspielte, und das steigerte die Spannung des ersten Aktes, intensivierte ihre Identität, indem es den Bruch zum zweiten Akt verminderte. Eichwalds instinktsichere und kluge Darstellung rührt und lässt im nächsten Moment das Innere gefrieren, wenn sie etwa auf die Warnung ihrer Mutter reagiert, sie werde sterben, wenn sie sich so im Tanzen verausgabe. So deutlich hat man die Anwesenheit des Todes in Gesicht und Körper Giselles kaum je gesehen. Erst Albrechts zarte Berührung verscheucht ihre Gedanken an den Tod, und gleich sieht man sie völlig versunken in den Anblick des Kleids der Herzogin, für die sie, weil sie zu ihr so freundlich ist, doch tanzt. In der Schlichtheit von Eichwalds anmutigem Spiel liegt ihre Meisterschaft. Ihre Variation nach dem Bauern-Pas-de-deux übertraf vieles, was im internationalen Vergleich hoch gehandelt wird. Mit ihren Balancen bannte Eichwald und brillierte gleichzeitig mit wachem Partnerbezug nach allen Seiten. Alles Narrative ist bei ihr dezent integriert und wirkt absichtslos.
Dass diese Stuttgarter „Giselle“ in ihrer Dramaturgie so klar und packend war, lag auch daran, dass das Ensemble präzise und geschlossen einen würdigen Rahmen für seine neue Ballerina gab. Jirí Jelinek überzeugte als männlich geradliniger Hilarion, und der Bauern-Pas de deux wurde von Patricia Salgado an der Seite des sicheren Filip Barankiewicz charmant getanzt. Als Myrtha sorgte Elena Tentschikowa mit ihren beiden Wilis (Roberta Fernandes, Elisa Carrillo Cabrera) für einen konzentrierten Auftakt des 2. Aktes. An Eichwalds Seite debütierte Mikhail Kaniskin als Albrecht, ein solider Techniker mit schöner Linie und hohen, gut kontrollierten Sprüngen, der den Charakter des Prinzen, auch um sich vom Hilarion Jelineks stärker abzuheben, noch mehr herausarbeiten müsste. Im Verlauf des 2. Aktes gewann er an Gestalt und Eleganz und machte zuletzt glaubhaft, dass er seine Lektion gelernt hat.
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