Ritual des neuen Mannes
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Jan Puschs neue Produktion „Match“ lebt von der exakt austarierten Spannung zwischen Tanz, Sprache und virtueller Darstellung. Sein Thema: die „Love“-Beziehungen zwischen Frau und Mann. Dialog im Bett: Er betet sie an, sie ist sein Ein und Alles, ohne sie mag er nicht leben. Jede seiner Liebesbeteuerungen kontert sie kühl, nichts ist von ihm, alles sind Zitate aus Songs von Dylan, Fleetwood Mac, Barry White u.a. So sehr er sich verbal abstrampelt, nichts verfängt sich bei ihr. Bis er „love“ buchstabiert und jeden Buchstaben mit einem Kuss auf Mund, Nase, Augen verbindet.
Gegenpol: Aus einem Monolog, in dem sie zu ihrem Sprachrhythmus tanzt, entwickelt sich eine Zweierszene, in der sie ihn kalt manipuliert: Kaum spricht sie hips, shoulder, head, knee, back, butt aus, muss er ihre entsprechenden Körperteile stützen. Körperwitz. Daraus entwickelt sich ein gewalttätiges Duett zu brachialem Rhythmus (Musik: Beat Halberschmidt), der in die Magengrube schlägt. Er schiebt, stößt, zieht, zerrt sie – Mord liegt in der Luft. Auf einer Wand erscheint sie/er im Wechsel im Video, zückt eine große Pistole und drückt ab, dröhnendes Schussgeräusch, er/sie fällt im Wechsel, zum Finale böllern beide und fallen zu Boden. Die realen Protagonisten beobachten ihre filmischen Abbilder.
Pusch beherrscht sein Handwerk: Video, Sound, Sprache und Tanz greifen wie Zahnräder ineinander, bauen allmählich eine Verdichtung der Stimmung auf. Außerdem besitzt er die in Tanztheaterkreisen seltene Gabe des trockenen Humors und der wirkungsvollen Komik. Auch bei den ernsten Momenten bleibt er locker, verkrampft nicht zu großer Zeigefinger-Botschaft. Seine Tänzer, Melanie Lane und Henrik Kaalund, folgen dieser Linie, überziehen nicht, bleiben distanziert, aber sehr präzis. Sie sprechen die englischen Dialoge – die Übersetzung läuft auf Spruchband über ihren Köpfen mit – fließend ohne die oft übliche Peinlichkeit stotternder oder künstlich artikulierender Tänzer. Die Tanzsequenzen gliedern den Ablauf, führen die abstrakte Ebene der Sprache zurück aufs Körperliche, drücken in ihrer manchmal bohrenden Intensität oft mehr als die bewusst zweideutigen, oberflächlichen Worte aus. Pusch entwickelt lang fließende Sequenzen, viel am Boden, keine hohen Hebungen, Sprünge spielen keine Rolle. Bei Lane und Kaalund wirkt es natürlich, nicht aufgesetzt, selbst wenn sie die Wände an den Klettergriffen hochgehen (Bühnenbild: Geelke Gaycken).
Drumherum packt Pusch eine Fernsehshow, in der sich Paare wieder versöhnen sollen, spielt Interviews mit der Regisseurin und dem Schauspieler eines Films ein, in dem es um gegenseitige Manipulation geht – dargestellt von Lane und Kaalund. Sie sprechen, nebeneinander stehend, mit ihren Abbildern auf der Leinwand. Eine Aggression zwischen dem realen Kaalund und seinem virtuellem Videobild, das auf seine Angriffe reagiert, explodiert im Raum. Sie und Er sprechen komisch synchron dieselben Vorwürfe gegeneinander. Schließlich der Rückgriff auf „Into the blue“, dem ersten Teil der „projections“. Sie manipuliert Boden und Wände, ruft Bilder, Drehungen der Fläche hervor. Er folgt ihr, bis nur noch Gekrakel erscheint. Da erliegt Pusch doch einmal der simplen Eindeutigkeit, dem überflüssigen Sinnbild einer gegenseitigen Ver(w)irrung. Zum Schluss: der Song „My kind of wonderful“ von Schmusebass Barry White – der Text läuft über die Wände, plötzlich bricht der Gesang ab. Riesenbeifall im voll besetzten Haus.
Premiere: 3.11.04, Gesehene Vorstellung: 13.11.04
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