Francisco Guerrero bringt schelmischen Humor in den Flamenco
Das Ballet Teatro Español de Rafael Aguilar mit „Bolero“
Das Ballet Teatro Español de Rafael Aguilar in der Lindenoper
Unter den spanischen Tanzensembles, die wie Kometen am Firmament aufleuchten und ebenso rasch wieder verglühen, gehört das Ballet Teatro Español de Rafael Aguilar zu den wenigen Konstanten. Ihr Namensgeber kann auf Studien des klassischen Tanzes in London, des spanischen Tanzes in Madrid verweisen, arbeitete mit Choreografen wie Léonide Massine, John Taras, Antonio und gastierte als Tänzer vielerorts mit Mariemmas Compagnie. 1960 formierten er und seine Ehefrau Manuela jene mittlerweile seit 45 Jahren europaweit erfolgreich tourende Truppe. Aguilars Choreografien in ihrer Mischung aus Flamenco, Jazz, Modern Dance und Ballett mit tanztheatralem Anspruch wurden ihr Markenzeichen. Das dreigeteilte Programm, mit dem das Ballet Teatro Español derzeit in der Lindenoper auftritt, lief erstmals in Berlin während der Tournee 1994. Nicht nur die Solistenmannschaft hat seither fast komplett gewechselt; auch sonst ist in der Kompanie nichts mehr wie damals. Denn 1995 starb ihr Gründervater, drei Jahre später seine Frau, die ihm als Leiterin nachgefolgt war. Carmen Salinas, den Aguilars und ihrem Lebenswerk von Anbeginn eng verbunden, führt nun die Geschicke des Ensembles. Als Rafael-Aguilar-Gedenk-Kompanie bereist es mit 35 Tänzern, Musikern und Sängern wieder den ganzen Kontinent und möchte das choreografische Erbe ihres verstorbenen Spiritus rector lebendig halten.
An Federico García Lorca als Stichwortgeber für Tanzkreationen kam auch Aguilar nicht vorbei. Nach „Bernarda Albas Haus“ des genialen Dramatikers schuf er 1964 seinen Flamenco-Einakter „El Rango“. Aguilar eliminiert dazu den visionären Freier Pepe und die gar nicht so närrische Großmutter María Josefa, verknappt die Geschichte auf die herrische Mutter und ihre fünf Töchter. Unter der Last schwarzer Schleier und dem Klang gregorianischer Gesänge ziehen sie als Karawane der Trauer über die abgedunkelte Szene auf ein großes Kreuz zu. Mit Fußkommandos dirigiert die Mutter den weiteren Ablauf: wie ein Schleier übers Kreuz gehört, die Mädchen hinter Haltung ihr Leid zu verbergen haben. Nähe duldet sie nicht, weist Berührungen mit Blicken zurück. In den Rahmen ihrer Fenster, gleichsam den Rahmen ihrer Möglichkeiten, räkeln sich des Nachts drei der Schwestern. Einzig Marina Claudio als die jüngste wagt sich im weißen Unterkleid ins Freie und tanzt dort, Bein zeigend und sich lüstern spreizend, in einem leidenschaftlich spannungsvollen Solo ihr frauliches Begehren heraus. Aufstand trillern da mit ihren Füßen die anderen. Ob das allerdings als Motivation reicht, die Widersätzliche durch einen Schuss unter den schwarzen Schleier des Kreuzes und so ins Jenseits zu befördern, scheint fraglich. Bis auf jenes Solo bleibt der Tanz 40 Minuten lang gleichmäßig verhalten, teilt sich die Aufmerksamkeit mit rezitierten Texten und Flamencogesang.
Nach Maurice Béjarts Meisterchoreografie sollte sich an Ravels Bolero nur wagen, wem ein schlüssiges Konzept zu Gebote steht. Genau das ermangelt Aguilars Fassung. Mit einzelnen Bildern, gediegenen Kostümen und feinsinnig modellierender Lichtregie weiß sie indes wohl zu beeindrucken. Sitzen eingangs Frauen in elegantem Rot als dichter Pulk fächerschlagend in der Bühnenmitte, geben sie alsbald den Blick auf die zentrale Figur frei: einen jungen Mann mit freier Brust, der seinen Körper betastet, sich wiegt, lustvoll in alle Richtungen biegt und im Kegel zweier Spots lockend sein Fleisch leuchten lässt. Zu oft jedoch wiederholt sich sein Bewegungsvokabular, zu viele entweichende Läufe hat er zu absolvieren, als dass er wirklich in den Sog der Geschlechter geraten oder deren Zusammenprall initiieren könnte. Am Ende umzingelt die Masse den versuchten Magier in konzentrischen Kreisen und hebt ihn in eine showhafte Siegerpose. Was sein gut viertelstündiger Tanz bei den zwölf Frauen und den in Schwarz gehüllten acht Männern bewirkt hat, ist nicht auszumachen. Der sehenswerte Juan Carlos Calleja dominiert dennoch mit einem typisch aguilarschen Stilmix die Szene.
In der 60 Minuten währenden „Suite Flamenca“ nach der Pause kann die Kompanie befreit herauslassen, was in ihr steckt. Mitteilen muss sie diesmal gottlob nichts - außer ihrer Tanzexplosion und einer exquisiten Technikschulung. Gesang, Gitarre, Flöte und Percussion addieren sich anfeuernd dem tänzerischen Streifzug durch die Gefilde des Flamenco. Wiederum sieht die so junge wie talentierte Truppe in Manuela Aguilars dezent attraktiven Kostümen bestechend gut aus. Starstatus dürfen die drei Solisten für sich reklamieren. Stolz entwickelt die rassige Rosa Jiménez ihre Alegría und dreht dabei Zapateados, dass die Schichten ihres Kleides sie als Serpentinen umfliegen. Trinidad Artiguez, ganz grande dame und virtuos im Umgang mit ihrer Schleppe, weiß sich in einer Petenera zwischen zwei Bewerbern nicht zu entscheiden. In seiner Farruca schließlich setzt Francisco Guerrero mit verschmitzter Persönlichkeit variantenreich den gesamten Körper ein, spielt differenziert mit Fußrhythmen, dass seine fast unhörbaren Hackentriller klingen, als würden Eisenkugeln zeitgenau einer Maschine entrollen. Ein Spazierstock fungiert souverän als zusätzlicher Rhythmusgeber. Guerrero, zum Schluss das Sakko überm Arm, zelebriert keine bloße Zapateado-Feier, sondern Tanz. Das Finale vereint nochmals die gesamte Mannschaft. Viele Solisten, die heute wie Joaquín Cortés und María Pagés mit eigenen Truppen reisen, hat die Kompanie im Lauf der Jahre hervorgebracht. Vielleicht liegt auf pädagogischem Gebiet ja die eigentliche Bedeutung des Ballet Teatro Español de Rafael Aguilar.
Noch bis 24.7. zu sehen.
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