Beredte Bilder sprachloser Stille

„Die Sanfte“ von Toula Limnaios leidet unter männlicher Gleichgültigkeit

Berlin, 23/10/2005

Schon das Eingangsbild in mattem Licht wirkt wie aus einer Tschechow-Inszenierung. Hinter Folienbahnen in Raumhöhe liegt brettsteif auf zwei Longen eine Frau mit hängendem Haar und schaukelt sich in Trance. Der Mann sieht ihr von seinem Kinderstühlchen aus unverwandt zu. Davor, auf hoffnungsgrünem Grund, verharren zwei Frauen und ein weiterer Mann. Knisterndes Pochen setzt eine Frau in unsichere Balanceversuche und ruft den Mann von hinten auf ein Stühlchen nach vorn. Zu einem Mehr an Miteinander als skulpturalen Sitz- und Liegeposen können sich die Frauen nicht verständigen, die Männer wechseln bestenfalls ihre Raumposition.

Was in Toula Limnaios‘ Uraufführung „Die Sanfte“ zunächst wie choreografierter Stillstand anmutet, erweist sich rasch als hochsensible Feinzeichnung innerer Zustände der Figuren. Nach einer Erzählung von Dostojewski seziert die griechische Tanzschöpferin, die 1996 ihre Kompagnie gründete, seit 1997 in Berlin lebt und sich mit bislang 18 Arbeiten einen respektablen Namen erworben hat, die Beziehung eines Paares, dessen Wortlosigkeit zumindest bei Dostojewski mit dem vom Mann unverstandenen Selbstmord seiner Partnerin endet. Limnaios multipliziert die Konstellation auf fünf Gestalten. Als Komponist Ralf R. Ollertz am Rande auf seinem Cello die ersten Bogenstriche führt, entwickeln sich aus dem gemeinsamen Schwanken eines Paare, Sprünge der Frau auf ihren Partner zu. Der Partner funktioniert, ohne ihre Nähe zu fühlen.

Bilder sprachloser Stille sind es, die Toula Limnaios 60 intensive Minuten lang auf die Szene ihrer Spielstätte HALLE stellt. Bisweilen ruckhaft ist der Tanz, Bewegungen in der Off-Balance, ein Sinken und Kippen der Körper. Immer wieder sind es die willenlos sanften Frauen, die der Stütze bedürfen und von ihren stupiden Partnern als Heberequisit herumbugsiert werden. Küsse bleiben auf Abstand, Blicke gehen parallel ins Leere, Stürze der Frauen können die Männer lediglich bremsen, nicht verhindern, indem sie sich dämpfend unter die Fallenden schieben. Als eine Frau hinter die Folie entweicht, zaubert Licht zwei Rechtecke auf den Boden. Nur in dem einen posiert eine Frau, das andere bleibt leer - zwei Männer tun indes so, als liefe der Paarbetrieb wie gewohnt weiter.

Mit der Schauklerin vollzieht sich, Höhepunkt des gediegen komponierten Stücks, ein Duett, das nochmals alle lähmende Vergeblichkeit bündelt: Mit haarverhangenem Gesicht erduldet sie wilde Würfe und strandet mit verknoteten Armen. Hinter der Folie kann ein Paar an getrennten Longen zwar kurz in dieselbe Richtung laufen, zappelt aber bald wie an der Leimroute. Vorn lagert verquer das andere Paar, während die Sanfte vergebens ihren Kopf wendet.


Premiere: 20.10. Weitere Vorstellungen: 22.+26.-30.10., 20.30 Uhr,
HALLE, Prenzlauer Berg, Eberswalder Straße 10-11, Karten-telefon 440 44 292

Kommentare

Noch keine Beiträge