Abschied von Patrick Dupond
Der ehemalige Solotänzer und langjährige Ballettdirektor der Pariser Oper ist verstorben
Die Idee, „Wuthering Heights“ (zu deutsch „Sturmhöhen“), den bekanntesten Roman der englischen Schriftstellerin Emily Brontë aus dem Jahr 1847, in ein Ballett umzuwandeln, erfordert angesichts der langen, komplizierten Handlung einigen Ehrgeiz. Diesen brachte im Februar 2002 an der Pariser Oper der Danseur Etoile Kader Belarbi auf, und schuf, die Vorlage stark verändernd und vereinfachend, ein Ballett, das den Vergleich mit den Werken erfahrenerer Choreografen keinesfalls scheuen muss. Belarbi schöpft hier die visuellen Qualitäten des Romans voll aus und kreiert Bühnengestalten von erstaunlicher psychologischer Komplexität.
Der Roman handelt von der Beziehung zwischen der jungen Catherine und dem von ihrer Familie aufgenommenen Findelkind Heathcliff, den Catherine aufgibt, um den edel geborenen und liebenswürdigen Edgar zu heiraten. Heathcliff beschließt, sich zu rächen, und richtet Edgar und dessen Familie sowie Hindley, den verhassten Bruder Catherines zugrunde. Belarbi nimmt in seiner Adaptation zunächst den Charakteren von Catherine und Heathcliff einiges an Bösartigkeit, sie erscheinen hier eher als tragisches Liebespaar, wodurch Edgar als eine Art Graf Paris ins Nebensächliche abgleitet. Doch dieses Konzept funktioniert sehr gut, da alle Aufmerksamkeit auf die Beziehung zwischen Catherine und Heathcliff gelenkt wird und man die komplizierten Nebenhandlungen weitgehend vernachlässigen kann. Die Beziehung der beiden Hauptfiguren reißt nicht mit Catherines Tod im ersten Akt ab, sondern spinnt sich im zweiten Akt weiter, in dem Catherine Heathcliff mehrmals als Vision erscheint.
In Anlehnung an die Tradition des romantischen Balletts gibt es also auch hier einen ersten, in der Realität spielenden Akt und einen zweiten Akt, in dem das Übernatürliche vorherrscht, unter anderem symbolisiert durch den Spitzentanz. Das Ballett ist größtenteils in (manchmal zu großes) Dunkel getaucht, Bühnenbild (Peter Pabst) und Musik (Philippe Hersant) verkünden meist Unheil - man hätte sich allerdings für einige Passagen eine reizvollere musikalische Begleitung gewünscht, ebenso gelungen wie beispielsweise die des ersten Pas de deux zwischen Catherine und Heathcliff.
Zusammen mit dem letzten Pas de deux, mit dem er das Ballett kreisförmig einrahmt, gehört dieser zweifellos zu den größten Stärken des Stückes - zu Anfang das harmlose Spiel von Catherine und Heathcliff auf einer bunten Blumenwiese (wobei die lautstark von der Decke fallenden Blumen einen interessanten Spezialeffekt bilden), am Ende die Wiedervereinigung der Liebenden nach dem Tod.
Diese beiden Meisterwerke wurden am Premierentag von Marie-Agnès Gillot und Nicolas Le Riche, für die diese Rollen vor drei Jahren geschaffen wurden, brillant getanzt. Marie-Agnès Gillot ist von Anfang bis Ende perfekt in ihrer Rolle, etwas befremdlich wirkt einzig die an Mats Eks „Giselle“ erinnernde Szene ihres Eindringens in Edgars feine Abendgesellschaft, in der sie unplausibel kindlich oder gar geistesschwach erscheint, ein Zug, den sie bei ihrer Verwandlung in eine würdige Hausherrin gänzlich ablegt. Als verheiratete Frau und als Vision ist sie würdevoll und rührend zugleich und tanzt stets mit vollkommener Hingabe. Ihr Partner Nicolas Le Riche stellt ebenfalls sehr glaubhaft den von seiner Geliebten zutiefst verletzten und schließlich innerlich verhärteten und grausam gewordenen jungen Mann dar.
Unter den Nebenrollen sticht vor allem Eleonora Abbagnato als Edgars Schwester und Heathcliffs spätere unglückliche Frau hervor, die durch ihre Unschuld und Heathcliffs Misshandlungen bewegt. An ihrer Seite ist Jean-Guillaume Bart ein integrer, etwas trockener Edgar, dessen Persönlichkeit im Stück kaum zum Tragen kommt. Wilfried Romoli beeindruckt in der Rolle des aggressiven Hindley - wenn man sich auch fragen kann, warum dieser schon von Anfang an übertrieben schwach und heruntergekommen ist, wodurch die Idee seiner eigentlichen Zerstörung durch Heathcliff abgemildert wird. Die zweite Generation, im Roman ziemlich ausführlich behandelt, ist hier nur angedeutet in der durch Heathcliff erzwungenen Heirat von Catherines unschuldiger Tochter Cathy (Muriel Zusperreguy) mit Heathcliffs schwächlichem, gleich nach der Hochzeit verscheidenden Sohn Linton (Gil Isoart).
Bemerkenswert sind auch die beiden Dienerrollen: die von Céline Talon getanzte Gouvernante Nelly und vor allem der alte missmutige Diener Joseph, charismatisch verkörpert von Jean-Marie Didière, werden hier zu Figuren des Schicksals, die das Stück rahmen, bei allen wichtigen Geschehnissen zugegen sind und diese zuweilen auch lenken. Insgesamt also ein spannendes Stück mit zahlreichen starken Momenten, durch das Kader Belarbi ein unbestreitbares choreografisches Talent beweist, das hoffentlich in Zukunft Gelegenheit haben wird, sich noch weiter zu entfalten.
Besuchte Aufführung: 05.03.05 im Palais Garnier,
noch bis 15.03.05
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