Abschied von Patrick Dupond
Der ehemalige Solotänzer und langjährige Ballettdirektor der Pariser Oper ist verstorben
Diese Paquita hat ihren eigenen Kopf. Erst als alle Gitanos ihr Lager aufgeschlagen haben, um sich an dem Volksfest zur Einweihung eines Denkmals in Nordspanien zu beteiligen, macht sie ihr Entrée. Sie hat keine Angst vor dem Anführer Iñigo, mag er noch so ungehalten über ihre Unpünktlichkeit sein. Valentine Colosante strahlt in der Titelpartie des Ballettklassikers von Pierre Lacotte bei der Wiederaufnahmeserie an der Pariser Bastille-Oper schlichtes Selbstbewusstsein aus, nicht mal Koketterie, die hat sie nicht nötig. Und wenn die Pantomime eines Gitano-Kollegen auch andeutet, dass der Chef schon ungehalten sei, so ficht sie das nicht an. Als der sie über ihre Beziehung zur Rede stellt und die Hand schon zum Schlag ansetzt, bleibt er mitten in der Bewegung stecken – die Hand steht in der Luft, bis Paquita sie ergreift, 1:0 für sie.
Die Konstellation erinnert ein wenig an Carmen, aber die Geschichte ist ins Bürgerliche gewendet, was zugleich bedeutet, dass hier weniger erotische Leidenschaft im Spiel ist. Zumal Paquita zwar bei den Gitanos aufgewachsen ist, aber wohl aus besserem Hause stammt. Ganz im Sinne der aufgeklärten Moral des nachrevolutionären Frankreichs findet die die höhere Zivilisation am Ende wieder zusammen, während der spanische Statthalter Don Lopez sich mit Iñigo im Bunde als Verräter erweist. Der alte Adel des von Frankreich besetzten Spanien ist noch nicht auf der Höhe der Zeit.
Franzöisches Nationalbewusstsein - Spanischer Exotismus
So jedenfalls die Sicht der französischen Librettisten Paul Foucher und Joseph Mazilier, die so 1846, also lange nach Napoleons Sturz, noch weiter am Mythos der Grande Nation strickten. In Sachen Code civil nicht mal zu unrecht. Und so mag Paquita ihr Selbstbewusstsein auch aus frühkindlichen Eindrücken von einem humanistisch gedachten Kanon beziehen. Jedenfalls ist das romantische Ballett unter dem Regnum des Bürgerkönigs Louis Philippe so auch ein willkommener Beitrag zur Stärkung des nationalen Selbstbewusstseins bei gleichzeitig attraktivem Exotismus des spanisch-gitanen Kolorits.
Und letzteres verkörpert dieser Iñigo exemplarisch. Pablo Legasa darf gleich erstmal mit Entrechats und einer Runde Drehsprüngen und Pirouetten punkten und hat genau die virile Ausstrahlung, die den Macho vor dem verständnisvollen Mitbürger interessant macht. Aber Paquita lässt sich mit solchen Äußerlichkeiten nicht beeindrucken. Sie verliebt sich sichtlich in den braven Offizier Lucien, der zur Einweihung des Denkmals seines ermordeten Onkels erschienen ist – wie sich später herausstellt, Paquitas Vater.
Auch dies müsste ein sehr selbstbewusster Vertreter des siegreichen Frankreichs sein, doch Guillaume Diop wirkt fast etwas schüchtern in dieser Rolle. Es fällt nicht schwer, ihn als introvertierten Prinzen in Nurejews „Schwanensee“ zu sehen, hier muss man sich seine sehr lyrische Auffassung des Offiziers erstmal zurechtdenken. Aus den Augen Paquitas betrachtet, ist der gefühlvolle junge Mann sicher eine gute Alternative zu den als prahlerisch erkannten Machos um sie herum. Und da Diop mit seinen auffällig langen Beinen beeindruckend leichtfüßige Soli hinlegt, wird sie bei ihm auch sinnlich nicht betrogen sein.
Elegante Klarheit
Bevor sie aber im Grand Pas um die Wette tanzen können, wird die Geschichte als Pantomime mit Tanzeinlagen erzählt. Pierre Lacotte rekonstruiert sie auf Basis der Erinnerungen seiner Lehrerinnen, die das Werk noch in Russland getanzt haben, und wiedergefundenen Aufzeichnungen des Uraufführungschoreografen Joseph Mezilier zur Musik von Edouard Deldevez. Die lange Zeit einzig berühmten Ergänzungen Marius Petipas aus St. Petersburg von 1882 mit der Musik von Ludwig Minkus behält er bei. Sie sind quasi jeder Handlung enthoben, ein Feuerwerk des klassischen Tanzes aus Freude am Happy End.
Man kann Lacotte zugutehalten, dass die pantomimischen Intrigen mit einer eleganten Klarheit gespielt werden. Unter den Tanzszenen macht der Walzer der „Toreros“ mit den roten Mänteln Effekt, die Lacotte abweichend vom Original mit Männern besetzt, was sich auszahlt, wenn sie mit den Mänteln einen Vorhang bilden, durch den dann die Frauenriege auftritt. Auch im Pas de deux des zweiten Akts werden immer wieder auch die Gruppen mit inszeniert, die als Soldaten durchs Bild toben oder im Hintergrund Paare bilden. Das Pariser Ensemble besticht dabei durch seine federnde Präzision.
Mindestens 24 Fouettés
In Petipas Pas de trois brilliert Marine Ganio mit fantastischem Spitzentrippeln und Entrechats im Wettlauf mit der Flöte, Inès McIntosh darf lyrische Pirouetten drehen, und Francesco Mura legt beeindruckende Sprünge mit vielen Unterschenkelschlägen und Tours en l’air links- und rechtsrum hin. Herzig gelingt die Mazurka mit den Kindern der Ballettschule der Pariser Oper, wunderbar konzentriert und viele doch schon spürbar dem Rhythmus hingegeben.
Im Grand Pas folgen die sich steigernden Soli des Liebespaars, dabei ein gestochen scharfer Galopp der Damenriege, gekrönt vom Solo Paquitas: Valentine Colosante legt mindestens 24 Fouettés mit mehrfachen Doppeldrehungen hin, grandios. Und Guillaume Diop macht die Sprünge mit hochgestrecktem Bein zum Ereignis, liefert die Grands Jetés en Manège und einen atemberaubenden Wechsel aus Entrechats und Drehsprüngen. Da sind wir den irdischen Realitäten längst enthoben, irgendwo zwischen l’art pour l’art und Lebensglück.
Das übrigens auch gefeiert wird, wenn die Compagnie zu Alexander Ekmans „Play“ ins Bällebad springt und mit dem Publikum riesige Luftballons titscht. Aber das ist eine andere Geschichte, die zeitgleich im verwunschenen Palais Garnier spielt.
Noch keine Beiträge
basierend auf den Schlüsselwörtern
Please login to post comments