Mozart tanzt
„Amadeus“ von Jaroslaw Jurasz in Halberstadt
Lange nimmt sich Choreograf Jaroslaw Jurasz in seiner Produktion „Metall“ fürs Nordharzer Städtebundtheater Zeit, ehe er die Katze aus dem Sack lässt. Bis dahin genießt man, was Ausstatterin Petra Mollérus auf der engen Spielfläche der Kammerbühne Halberstadt untergebracht hat. Podestbreit türmt sich ein verstrebtes Metallgerüst mit Glassoffitte, unter dem Platz finden: Leiter, Eisentonne, Blechbüchse und Zinkeimer; ein Rad hängt als Seilzug am Plafond, Schubkarre und Fuchsschwanz lehnen seitlich an. Eine Fabriktür verschließt die gläserne Rückfront, bis eine Frau eintritt, bedrohlich stehen bleibt, während hinter dem Glas Schemen auftauchen und sich Hände gegen die Scheiben stemmen. Sirene und Blaulicht unterbrechen die anklagende Ruhe, der Pulk löst sich klirrend auf, als ein Polizist vorüberjagt. Die Gang auf ihrer Flucht findet Asyl in der rostlaubigen Werkhalle, taucht ab, solange Gefahr besteht, erturnt sich dann den Raum, produziert rasselnd, reibend, streichend, klopfend Geräusche mit und auf den metallenen Requisiten.
Eine Atmosphäre wie aus „Stomp“ und „West Side Story“ stellt sich ein. Vorerst jedoch verweigert Jurasz den Jugendlichen sinnerfüllte Gemeinsamkeit, überlässt sie bodenakrobatischen Begegnungen, aus denen sich immer wieder Rivalität und Prügelei entwickeln. Ansonsten lähmendes Gelangweiltsein - jene latente Stimmung, die leicht in Gewalt und Aggression umschlägt. Ein Mädchen entlockt einem Radio Chopin, lebt ihren Traum vom Ballett aus, umwirbt ihren sanften Freund. Der indes bleibt verräterisch zurückhaltend, wird von der Truppe als Außenseiter attackiert. Der Anführer, ein rabiater Typ mit Mütze, schwingt eine Dosis Droge. Allmählich beginnt sich da die Gruppe zu individualisieren.
Als sich ein Mädchen im Rock, fremd unter soviel Jeans und Joggings, selbstbewusst präsentiert, versuchen die Jungen mehr zu erreichen, als sie zu geben bereit ist. Gemeinsam schlagen die Mädchen die Männer in die Flucht. Einer zweiten Frau, die aus ihrer erwachenden Erotik in einem aufpeitschenden Solo keinen Hehl macht, ist nicht mehr zu helfen: Die aufgeheizte männliche Meute fällt erbarmungslos über sie her, flieht vor den Folgen. Nur der Sanfte bleibt bei ihr. Den umwirbt unerwartet einer aus der Gang. Lange währt ihr Duett, bis beide den Mut haben, sich ihre Gefühle einzugestehen. Der Choreograf findet hier auch in der Formenvielfalt zu den überzeugendsten Momenten des Abends.
Geballte Girlpower befördert als Rache für die Vergewaltigung die Boys zu Boden, selbst ein Messer wird bei der Massenkeilerei gezückt. Die verlassene Freundin des Sanften erntet Gelächter. Dem Anführer jedoch setzen nicht nur die inhalierten Drogen zu, sondern auch sein Gewissen als Vergewaltiger. Die Frau vom Beginn erscheint ihm, lehnt jede Annährung ab. Ob sie die Vision der Gedemütigten ist, Erinnerung an die dominante Mutter oder eine anderweitig traumatisierende Erfahrung, bleibt offen. Im Türrahmen erhängt sich am Ende ein Mensch, der eher der Hilfe bedurft hätte als eines Urteils. Als Rächerin steht die Frau im Spot, die Hände der Gang hangeln sich am Glas empor.
Nach 90 pausenfreien Minuten schließt sich damit der Kreis. Es ist des Choreografen Verdienst, ein Schwarz-Weiß der Charaktere vermieden zu haben. Statt Klischees zu bedienen, bemüht er sich um differenziertes Verständnis für das Verhalten Jugendlicher, spürt verborgene Beweggründe, unterdrückte Bedrängnisse auf. Ob im „richtigen“ Leben jemand seine Verfehlung mit dem Tod sühnt, mag dahinstehen. Zu einer Collage aus vorproduzierter Musik, Klang und den live erzeugten Geräuschen wirft Jurasz seine hoch motivierten, bestens geschulten Tänzer in eine vorwiegend von klassischem Vokabular geprägte Tanzarena. Kampfsport und bisweilen Jazz bereichern das dichte Bewegungsgefüge. Der junge polnische Choreograf, in der dritten Saison Halberstadts Ballettchef, bewies damit ein weiteres Mal sein Gespür für getanzte Dramatik. Die Reduzierung von Personal und Finanzen am Städtebundtheater um ein Viertel zur laufenden Spielzeit hat indes auch seine Kompanie betroffen: Acht anstelle der bisherigen zehn Tänzer sind ihm geblieben. Bis 2008, sagt Intendant André Bücker, sei das Theater gesichert. Was danach kommt, wissen die Sterne.
Wieder am 2., 26., 28.12. (Quedlinburg)
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