Intensiv
Fotoblog von Dieter Hartwig
Companhia de Dança Deborah Colker, Rio de Janeiro
Viele, viele Seile hängen im Bogen von oben herab, bilden eine Art Dachgewölbe, vereinigen sich in der Mitte zu einem massiven Bündel, das dick wie ein Stamm zum Boden herabfällt. Im Theaterraum des riesigen, zum Teil stillgelegten Kraftwerks (ein krudes Gebäude aus Beton und Stahl) entsteht eine eigentümlich mythische, archaische Stimmung: Immer wieder vollführen die Tänzer/innen Bewegungen in animalischer Manier, den Rücken fast waagerecht, Kopf vorgereckt, Arme gebogen, die „Hinterbeine“ schleifen tierisch über den Boden. Im weiteren Verlauf löst sich der Taue-Baum zu vier Bündeln an den Ecken der Bühnenfläche, formt schließlich gänzlich aufgebunden einen Wald aus Seilen, zwischen denen die Tänzer/innen hin und her wischen wie Wesen aus Urzeiten. Links baumelt ein Gebilde herab, wie aus überlangen Haaren gebildet - Rapunzel, lass dein Haar herab, kommt einem da unweigerlich in den Sinn. Eine nutzt es als Kleid oder überlangen Schopf, zwei arbeiten sich in Kopfhöhe durch das Gestrüpp, schauen wie aus einer Höhle.
Auf der Fläche bringt ein ständiger Wechsel die Augen auf Trab: Colker schafft kraftvolle Männerduos, die ohne jede schwule Anmutung flüssig ablaufen; weiblich-männliche Zweier, Dreier, Vierer, Fünfer tummeln sich in teils abenteuerlichen Schrägen und horizontalen Lagen, gehalten von ihren jeweiligen Partner/innen: wie nachempfunden der athletischen Pilobulos Dance Company in den 70-er Jahren, nur auf Turbo-Tempo beschleunigt. Die durchwegs exzellenten Tänzer/innen kämpfen sich dynamisch durch die meist fantasievoll erfundenen Konstellationen, stürzen sich mit Mut zum Risiko in komplexe Sprung- und Hebekombinationen. Fast stets mit vollem Körperkontakt, erotisch aufgeladen bis zum eindeutig Sexuellen. Besonders wenn einige Spielchen mit einem roten Seil treiben, das sie zu sadomasochistischer Verschnürung weiblicher Körper nutzen. Die gefesselten Frauen werden getragen wie Pakete, herumgeschwungen. Die knappen Kostüme unterstreichen den sinnlichen Charakter: Eine schwarz herausgehobene Scham „schmückt“ einige der Frauen (im zweiten Teil der Produktion ist das Stoffdreieck rot), bei zweien schaut man wie durch ein Fenster auf die nackten Arschbacken. Der beinah mozart‘sche Adagio-Satz aus Ravels Klavierkonzert setzt die musikalische Duftnote des Finales, quasi als Kontrapunkt zum Geschehen.
Dem kurzweiligen ersten folgt der zweite Teil, der an physischer Präsenz noch einen draufsetzt bis zu fast roher, wenn auch in jedem Augenblick sichtlich beherrschter Gewalt in einem nach oben offener Kubus, rundum verglast. An dessen Ecken ragen Holzstangen senkrecht und waagerecht heraus, die zum ausgiebigen Klettern, Herauf- und Herunterhangeln genutzt werden. Ausgiebig werfen sich Körper gegen die Glasscheiben oder werden daran geklatscht. Der ständige Overdrive bis hin zum Gebrauch von schwarzen Spitzenschuhen als Domina-Werkzeug läuft mehr und mehr leer. In diesem kraftstrotzenden Umfeld tritt die Choreographin selber auf, im schwarzen Röckchen mit hoher Taille. Offenbar nicht austrainiert, wirkt sie schwerfällig im Vergleich zu ihren sehr agilen Tänzer/innen. Die brasilianische Kompanie überrennt im ersten Teil mit purer Dynamik alle Bedenken gegenüber einer oft nicht schlüssigen Dramaturgie, im zweiten Abschnitt trägt dieses überrumpelnde Moment nicht genügend, um den Mangel an Stringenz ausgleichen zu können.
Das Publikum im voll besetzten Saal spendete rauschenden Beifall. Movimentos hat offenbar auch beim dritten Mal Erfolg, zieht aus weitem Umkreis Zuschauer in das nun kulturelle KraftWerk.
Gesehen am 5.5.05
Koproduktion der Movimentos 2005/Autostadt GmbH mit Colker
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