„La Fresque“ von Angelin Preljocaj

„La Fresque“ von Angelin Preljocaj

Freiheit in vielerlei Deutung

Tanz bei den 15. Movimentos Festwochen im Kraftwerk Wolfsburg

In diesem Jahr steht das Festival unter dem Motto „Freiheit“. Über die Themenwahl und die Besonderheiten von Kultur in der Autostadt spricht der künstlerische Leiter Bernd Kauffmann.

Wolfsburg, 18/02/2017

Nein, sagt Bernd Kauffmann, die Jubiläumsedition von Movimentos werde ein ganz „normales“ Festival auf dem gewohnt gediegenen Niveau. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Seit dem Ausscheiden von Kreativdirektorin Maria Schneider im Vorjahr verantwortet Kauffmann als alleiniger künstlerischer Leiter das Programm. Erfahrung dafür bringt der gebürtige Münsterländer ausreichend mit. Nach seinem Abitur in Berlin studierte der so asketisch streng erzogene wie inhaltlich fundiert ausgebildete Jesuitenzögling Jura und erwarb sich mit diesen Grundkenntnissen in bemerkenswerter Geradlinigkeit einen Ruf im Kulturmanagement. Er war unter anderem Abteilungsleiter im niedersächsischen Kulturministerium, rief dort das Festival „Theaterformen“ ins Leben, betreute als Intendant das Kunstfest Weimar und als Präsident die Stiftung Weimarer Klassik, war anschließend Generalbevollmächtigter bei der Stiftung Schloss Neuhardenberg mit ihren erlesenen Kunstofferten.

Seit 2003 ist er bereits den „Movimentos Festwochen“ verbunden, die von der Autostadt in Wolfsburg veranstaltet werden, einer gigantischen Vermarktungsmaschinerie mit exklusiver Kulturdreingabe. Kommunikationsplattform des Volkswagen Konzerns lautet der offizielle Name dieser Tochtergesellschaft der Volkswagen AG. Angesichts der gegenwärtigen Situation des weltweit größten Autoherstellers wirft das sofort Fragen nach der Festivalfinanzierung auf. Wir haben bereits 2016 ohne künstlerische Abstriche gut 20 Prozent Budget eingespart, auch 2017 wirtschaften wir in diesem Sinn weiter, nimmt Kauffmann den Wind aus dem Segel. Zudem wird bei Movimentos verständlicherweise weniger über Abgaswerte gesprochen, da geht es mehr um Kunst.

Die rekrutiert sich in der 15. Movimentos-Ausgabe wieder aus Konzerten, Lesungen, Schauspiel, Matineen, Soireen sowie Workshops. Herzstück ist 2017 neuerlich der Tanz, auch er diesmal unter dem allgemeinen Gesamtmotto „Freiheit“. Wie wichtig und daher kaum zu unterschätzen gerade in für VW bedrängter Zeit das Festival sei, fügt Kauffmann an: Kultur als ein Identität stiftendes Moment in einer vom Autobau dominierten Region. Rückblickend gefragt: Was unterscheidet das Kunstfest in Weimar von Movimentos? Beides, sagt Kauffmann, fand respektive finde in einer Stadt ähnlicher Größe statt, beides auch an ungewöhnlichen Spielorten: einer ehemaligen Viehauktionshalle in Weimar, einem immer noch aktiven Kraftwerk in Wolfsburg. Aus der Suggestion des Raums beziehe das Festival ganz wesentlich seinen Reiz. War das Kunstfest Weimar eher theaterlastig, liege in Wolfsburg seit jeher der Schwerpunkt auf dem Tanz als körperlicher Ausdrucksform. Kompanien aus aller Welt gastierten in diesem technischen Ambiente mit seinen farbig bemalten Turbinen als Kunstexponaten im Foyer.

Nach welchen Kriterien aber werden jene Ensembles ausgewählt? Es gebe dafür kein Bundesauswahlgesetz, sagt Kauffmann spitzbübisch, und auch die Vertragsfristen seien relativ kurz. Denn erst am Ende eines Jahrgangs werde über die Fortführung des Festivals entschieden – nicht zuletzt, weil das Kraftwerk bis heute Strom für die Autoherstellung und die Stadtbevölkerung liefert und man sich jedes Jahr aufs Neue über seine Kulturnutzung absprechen muss. Auf Vertrauen und Rücksichtnahme basiere das Geschäftsmodell, jenseits von Recht und Haftung, und in beiderseitigem Interesse. Freilich spiele auch der persönliche Geschmack eine Rolle, gravierender sei jedoch die ästhetische Kraft der jeweiligen Produktion: Dann lade er durchaus auch Projekte ein, die kontrovers diskutiert werden. Und wie steht es mit dem jährlich neuen Motto? Aus den Tiefen von Raum und Zeit speise es sich bisweilen, erklärt Kauffmann orakelhaft und nicht ohne Ironie. Bei Koproduktionen sei das anders als bei der Einladung schon bestehender Choreografien. So sei auch der Begriff Freiheit ein sehr umfassender, vielleicht sogar, sinniert er, eine fromme Lüge. Denn ohne ein bestimmtes Maß an Selbstzwang sei Freiheit nicht denkbar. Zudem sei Tanz immer ein Akt der Befreiung: für den Choreografen von einem Sujet, das ihn bedränge, bedrücke, ängstige, empöre oder auch freue; für den Tänzer von der Fremdbestimmtheit durch die einstudierten Schritte und Formen, die es gelte, zum Eigenen zu machen, also frei von ihnen zu werden.

In unserem diesjährigen Festivalangebot handelt es sich allerdings auch um einen weiter gefassten Freiheitsbegriff, ergänzt Kauffmann. Nehmen wir „La Fresque“ des Frankoalbaners Angelin Preljocaj, eine unserer sechs Deutschlandpremieren. Sie fragt nach der Freiheit und dem Platz von Kunst in der heutigen Gesellschaft. Nehmen wir „Icon“ von Sidi Larbi Cherkaoui, halb Flame, halb Marokkaner, der zwischen Christentum und Islam oszilliert und im neuen Stück das Erschaffen und Zerstören von Idolen untersucht. Oder nehmen wir Israel Galván, der in „La Fiesta“ ein weiteres Mal den Flamenco „entflamencoisiert“, von Fesseln befreit und damit, ein Wortspiel, „galvanisiert“, indem er ihm neue Felder eröffnet. Mit welchen Freiheiten die GöteborgsOperans Danskompani operiert oder das Nederlands Dans Theater in seinem vierteiligen Abend, etwa „Woke Up Blind“ von Bewegungsstürmer Marco Goecke, davon, so Bernd Kauffmann, solle man sich lieber selbst überzeugen. Auch die Erstbegegnung mit der israelischen Vertigo Dance Company und ihrem Beitrag „Yama“ als Aufforderung zur freien Interpretation verspricht spannend zu werden, ist sich der feinsinnige Festivalleiter sicher.

21.4.-21.5., Movimentos Festwochen, Wolfsburg

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