Appetithäppchen zu „Gira“
Ein Fotoblog von Dieter Hartwig
Frisch, unverbraucht mit bemerkenswertem Drive präsentierte sich das Cullbergballett (1967 von Birgit Cullberg gegründet) in der Halle des Wolfsburger Kraftwerks bei den Movimentos 2007. Zwei Stücke hatte Chef Johan Inger für den Auftritt ausgesucht, beide eher düsteren Charakters, beide mit technischen Herausforderungen gespickt, wie mühelos serviert von den außerordentlichen Tänzer/innen, durchwegs individuell ausdrucksvoll. Im einstündigen „End“ erzählt der belgische Choreograph Sidi Larbi Cherkaoui eine scheinbar simple Geschichte, uralt und immer wieder neu: Ein Mann auf der Suche nach Heimat, einem zu Hause, nach einem Miteinander. Cherkaoui bleibt locker, verhebt sich nicht zu Bedeutungshuberei. Er mischt alle möglichen Stilarten zu einem geschmeidigen Fluss, schafft abenteuerliche Übergänge (etwa Radschlag mit Kopf als Stütze, Drehung in den ausgedrehten Kniefall), die Abläufe strukturieren.
Alles ist integriert: Ansatz, Bewegung, Auslaufen, Übergang – mit manchmal unglaublicher Kraft und Konzentration vom Ensemble ausgeführt. Die Bühne bietet sich dar wie eine abgekapselte Welt, abgeschottet durch eine haushohe, helle Mauer, ähnlich der in Israel, die den Staat vom Gaza-Streifen trennt, gebaut aus länglichen Betonplatten unterschiedlicher Höhe. Ein Unbehauster buckelt unter einer aufgetürmten Last, zieht dazu einen hoch beladenen zweirädrigen Karren hinter sich her. ER stellt sich hin, beugt sich vor und zeigt durch die Beine das Victoryzeichen, das wiederkehrt im Verlauf. Hinten rollen vier an der Mauer entlang mit vernehmbarem Gewisper. ER packt seine Tasche aus, als sie ihn sanft anstoßen. Als ständige Bedrohung brechen in ständiger Steigerung Düsenjäger-, Hubschraubergeräusche, Maschinengewehrschüsse, Granatenkrachen herein, im krassen Gegensatz ertönt georgische Musik, feierlich, melancholisch, meist a capella, ähnlich der russisch-orthodoxen: eine beunruhigende Mixtur.
ER beginnt an der Mauer ein Haus zu bauen mit einfachsten Mitteln, ein überraschend spannendes Geschehen bis zum Punkt, an dem er eine Stehlampe anknipst, eine schnuckelige Zuflucht, in der nach und nach alle sich einfinden. Zuvor demonstriert das Ensemble die hohe Kunst der Martial Arts, mit Schreien unterlegt. Die Tänzer/innen absolvieren die rituellen Stech-, Schlag- und Sprungversionen mit genau akzentuierter Übertreibung, die das Ganze in die Höhe komikhaften Slapsticks rückt. Alle Leichen des Kampfes zieht ER in sein Haus, wo sie umstandslos wieder lebendig werden, angeregt miteinander plaudern.
So unterläuft Cherkaoui immer wieder Erwartungen, fällt nicht in die Falle der Betroffenheits-Sentimentalität. Auch nicht, als gegen Ende eine dunkel gekleidete Frau mit einem Bündel auf den Armen wie auf der Flucht die Bühne durchmisst, bis sie neben dem Haus zusammenbricht. ER kommt raus, hebt das Bündel auf, das im Kreis der Gruppe herumgereicht wird. Bis daraus ein Streit entsteht, das Haus von den Gästen zerstört wird und ER sich allein mit dem (Baby-) Bündel auf weiter Flur befindet. Da löst sich eine Betonplatte aus dem Wall und kracht zu Boden. Durch die Lücke sieht man auf einen ansteigenden Weg in hellem Licht. Als Er hoffnungsfroh mit dem Baby im Arm durch die Öffnung schreitet, stößt er auf eine Folie: Der Weg in die Freiheit, zur Flucht nach außen ist nur gemalt, nicht echt. Da hilft ihm alles Treten, Zerren nichts. Komik in der Tragik. Lachen im Publikum, dann Schweigen, darauf rasender Beifall. Cherkaoui hat einen eigenen Weg gefunden, der dem Plakativen nicht erliegt.
Auch Johan Inger packt in seinem „As If“ eine Mauer auf die Bühne: schwarz, dreh- und besteigbar, teils hohl. Anfangs diagonal im Raum, dient sie zur Trennung zweier Gruppen. Umlaufen des Walls, Besteigen, Hineintreten in die offenen Schmalseiten, Entlanghangeln an eingelassenen Vorsprüngen. Inger bietet Vieles, vermag es aber nicht zu verdichten zur Prägnanz. Noch sind die Fußstapfen seines Vorgängers Mats Ek zu groß für ihn. Wohl komisch gemeinte Sequenzen scheinen mit dem Holzhammer zusammengehauen: Witze ohne Pointe. Der vielleicht stärkste Moment wirkt wie ein Zaubertrick. Während auf der einen Mauerseite das Ensemble auf der Mittelachse immer schnelle dreht, bewegt sich eine Frau auf der anderen, genau auf der Höhe der Mitte – bis sie auf einmal nicht mehr da ist, „as if she vanished in the wall.“ Die Auftragskomposition von Stefan Levin wirkt farbreicher, reizvoller als die Choreographie. Freundlicher, aber nicht enthusiastischer Applaus.
Vorstellung am 8.Mai
Noch keine Beiträge
basierend auf den Schlüsselwörtern
Please login to post comments