Glitzernde Spuren im Sternenstaub

Das Göteborg Ballett mit „3 x Bolero“ bei Movimentos

Wolfsburg, 16/05/2008

Mit „3 x Bolero“ präsentiert das Göteborg Ballett bei den Wolfsburger „Movimentos“ einen klar gegliederten Abend: gut – ungenügend - befriedigend. Drei Choreografen lassen das heterogene, offenbar gut trainierte Ensemble durch höchst unterschiedliche Konzepte tanzen: „Walking mad“ von Johan Inger, „Orelob“ von Kenneth Kvarnstroem und „Episode 17“ von Alexander Ekman. Sie nutzen Ravels Bolero vom Original (Inger) bis zur unkenntlichen Bearbeitung (Kvarnstroem).

Inger entwirft ein Kaleidoskop dramatischer Szenen, melancholisch bis düster, witzig bis fast albern. Eine bewegliche Wand, übermannshoch, spielt mit, rollt drohend auf einen Tänzer zu, der zu Boden stürzt, klemmt eine Tänzerin im spitzen Winkel ein, öffnet sich mit vier Türen, durch die Menschen unvermittelt auftreten und verschwinden, kippt aus der Vertikalen in die Waagerechte, mutiert zum Tanzpodium. Vier Männer, rote Kegelhütchen wie beim Karneval, jagen grotesk eine Frau, Komik und Erschrecken. Unter fahlem Licht zwängt sich eine Tänzerin - außergewöhnlich suggestiv - in den engen Wandwinkel, sie zittert, rutscht auf dem Rücken und geht immer wieder gegen die Wand an. Eine beklemmend klaustrophobische Atmosphäre entsteht, die sich durch den hinzutretenden Mann noch verstärkt. Kraftvoll hebt sie ihn, kippt ihn und lässt ihn fallen. Er schwenkt sie vor sich her wie ein Uhrpendel. Schließlich wird sie von drei Männern auf die Oberkante der Wand gesetzt, von der sie - atemberaubend - rückwärts ins Dunkle stürzt.

So mischt Inger beängstigendes Geschehen mit skurrilen, auch komischen Augenblicken, gebraucht dafür ein Bewegungsvokabular mit breitem Schritt, lockeren Gliedmaßen, die jederzeit aus der Körperform ausbrechen wollen. Mats Ek scheint unverkennbar durch, aber Inger schafft es bei seinem Stück, das er 2001 für das Nederlands Dans Theater kreierte, eine eigenständige Note einzubringen, Spannung zu halten, den krachenden Schluss von Ravels Komposition mit dem Hochschleudern langer, schwarzer Jacken ironisch zu unterlaufen. Wie er sich überhaupt der Tyrannei des Bolerorhythmus entzieht, auch das Thema nicht explizit aufgreift. Wie zu Beginn taucht am Ende ein Paar auf, wie zu Beginn spielt ein Kleidungsstück die Rolle der Beziehungsprobe, beide gehen ein Stück Weges miteinander, seitlich schräg an den Schultern aneinander gestützt. Schließlich bleibt sie zurück, verharrt, während er abgeht. Inger serviert das unverkrampft, ohne die große Pathos-Gebärde. Gut.

Dem Pathos abhold ist auch Alexander Ekman, 23-jähriger Nachwuchschoreograf. Ihm gelingt mit „Episode 17“ eine kurzweilige, witzige bis humorige Produktion, deren komplizierte Abläufe von den Göteborgern äußerst präzise getanzt werden. Der Bühnenaktion schickt Ekman einen schwarzweißen Film voraus, in dem eine Gruppe, schwarze Perücken mit dickem Zopf, wie aufgezogen durch die Straßen einer Stadt schwirrt, dann in realiter vor dem Publikum erscheint. Ekman beherrscht die überdrehte, trocken auf den Punkt servierte Komik mit Pointe. Etwa in dem Abschnitt, in dem er Keuchen wie eine asthmatische Dampflok rhythmisiert. Das mündet in einen tatsächlich atemlosen Stopp mit folgender quasi ohrenbetäubender Stille, die durch ein gemeinsames lautes Ausatmen aufgelöst wird. Beifall. Die 18 Tänzer haben eine sich immer mehr erweiternde Bewegungsfolge auf einer Diagonalen zu knacken. (Der Bolero erklingt teils mit Geige und Viola, teils als Schmonzette „My Bolero“, gesungen vom Crooner Vic Damone.) Anschließend werden die Teilnehmer von einem Redner wie bei einer Comedy-Sendung vorgestellt und in Episoden vorgeführt. Die titelgebende Episode 17 ist, nach dem gemeinsamen Entkleiden bis auf die Unterwäsche, die kürzeste und letzte: Eine Tänzerin steht im Spotlicht, angestarrt von ihren Kollegen und Kolleginnen, schlägt sich mit der Hand gegen die Brust - Blackout. Befriedigend.

Prätentiös zelebrierten Leerlauf pflegt Kenneth Kvarnstroem in „Orelob“, untermalt von elektronischen Crescendi bis zur akustischen Schmerzgrenze. Und dreht sich auch ein riesiger Spiegel bedeutungsvoll auf der linken Bühnenseite, mühen sich die fünf Tänzer, gekleidet in Gekräusel um Hals und am Körper, auch, den isoliert nebeneinander laufenden, öde harmonischen Bewegungen Leben einzuhauchen, ungelenke Übergänge vergessen zu machen, Allerweltshebungen mit Bedeutung aufzuladen: Es hilft nichts, die Materie bleibt tot. Der herabrieselnde Sternenstaub, in dem eine Tänzerin glitzernde Spuren zieht, ist noch das Beste. Ungenügend, setzen.

Nota bene: Befremdlich auch dieses Mal: Kein deutsches Tanzensemble wurde zu „Movimentos“ eingeladen. Arroganz oder Unwissenheit - jedenfalls kein akzeptabler Zustand, zumal es genügend Auswahl gibt.


Link: www.opera.se

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