Schlicht und ergreifend
In Heidelberg zu Gast: Solo-Tanz-Theater made in Stuttgart
Was man so ganz alleine auf einer Bühne treiben kann, erkunden Choreografen aus aller Welt nun bereits zum neunten Mal in Stuttgart - das Solotanzfestival im Treffpunkt Rotebühlplatz ist zu einer festen Institution geworden, die Qualität der Beiträge steigt von Jahr zu Jahr. Weil so viel Hochkarätiges unter den 150 Bewerbungen war, haben Direktorin Kirsten Kurz und Festivalsleiter Marcelo Santos sogar mehr Teilnehmer ausgewählt als in früheren Jahren; statt sechs gibt es nun jeweils sieben Solos pro Abend. Die Sieger aus den drei Vorrunden kommen weiter ins Finale, das am Sonntag stattfindet. Zur Jury gehören in diesem Jahr die Choreografin Birgit Scherzer (der auch ein Porträt im Rahmen des Festivals gewidmet war), Adolphe Binder, die letzte Ballettdirektorin der Komischen Oper Berlin, der Lehrer und Choreograf Jan Kodet vom Nationaltheater Prag, die Tänzerin Andrea Ladányi und Samuel Wuersten, der Künstlerische Leiter der Rotterdamse Dansacademie und des Holland Dance Festival.
Wiederum sind die meisten Choreografen auch ihre eigenen Interpreten, setzen sich also selbst in Szene, und deshalb gab es auch am ersten Abend wieder die „Selbsterfahrungs“-Solos, die hauptsächlich das unangenehme Gefühl hervorrufen, viel zu viel Privates zu erfahren. Wie bei der Kanadierin Anna Simone Levin, die von ihren gescheiterten Liebesbeziehungen plaudert und sich dazwischen die passenden Gefühle vom Leib tanzt, weitaus weniger beredt im tänzerischen Vokabular. „Er staunt“ von David Nicolas Russo erforscht auf so unzugängliche Weise das Innenleben des Erfinders, dass man den Grund der wilden Zuckungen nicht mal erahnen kann. Die Japanerin Kazue Ikeda nimmt für ihr introvertiertes, meditatives Stück „A part“ die originelle Idee in Anspruch, auf „Spannungen und Anreize von innen“ zu reagieren - als ob das andere Choreografen nicht auch täten.
Auch „Zwei Körper“ scheint auf den ersten Blick zu dieser Kategorie zu gehören - der Kroate Tomislav Jelicic hat die Erfahrung des Balkan-Krieges vertanzt, in einer so düsteren Intensität, dass einem all das Nach-Innen-Lauschen der anderen Künstler danach wie egoistischer Luxus vorkommt. Dennoch leidet sein überlanges Solo unter der viel zu bunten Musik-Collage und unter reichlich dräuender Symbolik - Jelicic ist ein schlechter Dramaturg, ein guter Choreograf und ein tief beeindruckender Tänzer. Die Münchnerin Katja Wachter vertanzt das Tourette-Syndrom (das wir alle aus „Ally McBeal“ kennen) und untersucht in „The Space between my and myself“ die boshafte Distanzierung des Körpers vom eigenen Ich: dicht, ausdrucksstark und als hochvirtuose Interpretin in der Koordination der merkwürdigen Tourette-Tics.
Manchmal kann ein Solo auch eine Geschichte erzählen, wie beim Belgier Tom Baert. Er schildert in „Carcrash“, wie ein Straßenkünstler vom Verkehr buchstäblich überrollt wird. Das Stück beginnt als liebe, zerbrechliche Pantomime und endet in Verzweiflung, eine echte Miniatur mit einem eigenen Mikrokosmos an Bewegungen und perfekter Dramaturgie. Auch „Dreamcatcher“ vom Finnen Thomas Freundlich ist ein Stück zwischen Lachen und Weinen. Das von Tanja Kuisma getanzte Solo schleudert eine großäugige Puppe zwischen Wahnsinn und naivem Glück über die Bühne und steht eindeutig unter dem Einfluss von Mats Ek und seiner Irrenhaus-“Giselle“. Die Finnen sind dieses Mal in Stuttgart reichlich vertreten und könnten mit ihrer nordischen Troll-Versponnenheit noch für weitere Überraschungen sorgen - oder einfach durch spannende Titel wie „Kurzer Samba für Hund ohne Federn“. Heute findet die dritte Vorrunde statt, das Finale ist morgen und wird live im Internet übertragen.
Link: Solotanzfestival
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