Wo die Musik und der Tanz eloquent genug sind, um ohne Worte auszukommen
Vier Uraufführungen von Thiago Bordin, Terence Kohler, Philip Taylor und Davide Bombana
Schon nach einer Spielzeit unter der Ballettdirektorin Birgit Keil brummt der Tanz am Badischen Staatstheater wie schon lange nicht mehr. Nicht nur die Klassiker wie „Giselle und „Don Quijote“ sind heiß begehrt, auch die Premiere des neuen Ballettabends „Kreationen“ im Karlsruher Schauspielhaus war bis zum letzten Stehplatz ausverkauft. Zwar war das Karlsruher Tanzpublikum durch die lange Direktion von Germinal Casado schon immer hartnäckig auf Klassik konditioniert, was dessen moderneren Nachfolgern Olaf Schmidt und Pierre Wyss wenig Chancen ließ. Aber vielleicht lässt der rasante Anstieg von vorher sechzig Prozent Tanz-Auslastung auf ausverkaufte Ballettabende bei Keil manchen Intendanten zweimal nachdenken, bevor er seine klassische Kompanie zu einem modernen Ensemble verkleinert. Heimlich, still und leise ist das klassische Ballett wieder im Kommen - siehe Berlin, siehe Dortmund - und straft die dogmatischen Verfechter des modernen Tanzes Lügen.
Für die vier Uraufführungen hat Keil zu ihren beiden Zöglingen Thiago Bordin und Terence Kohler zwei renommiertere Choreografen geholt, den Briten Philip Taylor vom balletttheater München und den Italiener Davide Bombana, ehemaliger Tänzer und Choreograf beim Bayerischen Staatsballett. Aber ausgerechnet der bekannteste Name hinterlässt den fragwürdigsten Eindruck, denn Bombanas Stück „Tenebrae“ benutzt seine zarte Musik, Madrigale von Carlo Gesualdo, als einen puren Soundtrack. Wahrscheinlich würde zur ausgeleierten Streetwear (Ausstattung: Dorin Gal) sogar Popmusik besser passen, die belanglose Choreografie im beliebig-modernen Ballettstil ließe sich problemlos auch darauf tanzen. Einziger Blickfang sind die bühnenhohen, durchsichtigen Plastikjalousien mit ihren schimmernden Lichteffekten.
Jalousien verwendet auch Philip Taylors „Strange Waters“, bei ihm zieren Segmente mit schwenkbaren Stofflamellen die Rückwand (Ausstattung: Claudia Doderer). Taylors hohes Tempo und die zum Teil maschinenartigen Bewegungen stellen die junge Karlsruher Kompanie sehr gut heraus, vor allem Felipe Rocha, Flavio Salamanka und den Choreografen-Kollegen Terence Kohler, der als einziger seine klassische Anmut völlig gegen moderne Lässigkeit eintauscht. Letztlich aber ist Taylors unterhaltsames Stück doch eines dieser schnellen, schicken Designer-Ballette: ein bisschen zu hip, um wirklich hängen zu bleiben.
Natürlich haben es die zwei jungen Choreografen leichter, weil auf ihnen viel weniger Erwartungsdruck lastet als auf den berühmten Kollegen - aber im Grunde kann man Kohler wie Bordin nur dramaturgische, kaum choreografische Mängel vorwerfen. Beide begehen den klassischen Anfängerfehler der zu dick aufgetragenen Symbolik, aber sie choreografieren einfallsreich, ausdrucksvoll und sehr musikalisch. Und beide entwickeln einen ganz beachtlichen Sinn für Bilder, für theatralische Effekte und Stimmungen. Kohlers Stück „In the near distance“ konfrontiert den Tänzer Flavio Salamanka auf raffinierte Weise mit seinem filmischen Doppelgänger und wird fast zum Horrortrip. Ob der junge Australier zu Musik von Ligeti und Elektro-Pop von Aphex Twin den Tänzern wirklich Rollennamen wie „Krankheit“ und „Ohnmacht“ zuordnen muss, sei dahingestellt - seine Choreografie jedenfalls wirkt bestens auch ohne solche philosophischen Erklärungsversuche.
In Thiago Bordins „Voices of Silence“ geht es unter einem kahlen Baum um Robert Schumann. Auch hier tragen die Personen Namen (so treten Clara Schumann oder Franz Schubert auf), obwohl sich die Beziehungen untereinander sehr schnell in eine abstrakte Folge von feinen, zarten Miniaturen auflösen. Ute Frühling schuf dazu die einzigen Kostüme des Abends, die nicht durch kreischende Farben oder Schlabberhosen nerven. Leider setzt Bordin neben Musik von Peteris Vasks auch elf Lieder aus der „Dichterliebe“ ein und hat damit musikalisch viel zu hoch gegriffen, denn natürlich wird er den vielen Schichten der Heine-Texte nicht gerecht (was wahrscheinlich keine Choreografie der Welt kann). Aber seine unerschöpflich fließende, leichte Bewegungssprache ist vielleicht die schönste Überraschung dieses interessanten Abends.
Wohl spürt man den Einfluss von John Neumeier - Bordin tanzt seit vier Jahren in Hamburg -, aber der junge Brasilianer kopiert nicht und bringt immer neue Stimmungen, Ideen, Ensembles. Und er ist ein Choreograf, der die Tänzer liebt, die in seinen Werken immer besonders leicht und mühelos aussehen. Mit ein wenig mehr dramaturgischer Erfahrung, und wenn Birgit Keil ihm nicht wieder die falsche CD zur Inspiration schenkt, könnte aus Bordin vielleicht einmal ein choreografischer Geschichtenerzähler werden.
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