War Ashton der legitime Erbe Bournonvilles?

„La Fille mal gardée“ im Rahmen der Hamburger Ballett-Tage

oe
Hamburg, 01/07/2005

Wie wär‘s denn mit einer DNA-Analyse der beiden Choreografen? Die örtliche und zeitliche Nähe des Kopenhagener Bournonville-Festivals und der Hamburger Ashton-Retrospektive fordert geradezu dazu heraus! So viel tänzerischer Elan vital, so viel überströmende Herzlichkeit, so viel warmherzige Menschlichkeit, so viel handwerkliche, psychologisch unterfütterte Gediegenheit, ein so überschwappendes Glücksgefühl wie in der Hamburger Vorstellung von Frederick Ashtons „La fille mal gardée“ – wo habe ich das zuletzt erlebt? Ja, natürlich in Kopenhagen, beim jüngsten Bournonville-Festival! Wie dort am Kongens Nytrov, so schwammen die Besucher im Opernhaus am Dammtor an diesem Freitagabend in beseligter Lust. Fehlte nur zu Beginn der Vorstellung die Huldigung an die anwesende Königin (oder doch zumindest an ihren „Regierenden“ Ole von Beust)!

Natürlich trennt ein Jahrhundert die beiden – und entsprechend haben sich die Publikumserwartungen geändert. Und doch gibt es viele Gemeinsamkeiten zwischen ihnen. So dass man sich wünschte, John Neumeier würde in Zukunft sein Hamburger Neumeier-Repertoirefundament um die beiden Stützpfeiler Kopenhagen und London erweitern. Vorsichtig und peu à peu. Zum Beispiel zunächst einmal mit einem „Napoli“-Divertissement und dem Import von „Ein Monat auf dem Lande“. Anders als Bournonville, den es in die Ferne trieb, blieb Ashton Zeit seines Lebens ein ausgemachter Country-Squire. Und so geriet ihm seine „Fille mal gardée“ zu einer Huldigung an das frühsommerliche Suffolk – irgendwo zwischen Thackeray und Constable. Und wie sich Bournonville von den französischen Romantikern um Taglioni, Coralli und Perrot inspirieren ließ, so holte sich Ashton seine Anregungen bei den Meistern der französischen Opéra comique, bei Adam und Boieldieu, mit einem Schuss italienischer Secco-Buffonerie á la Rossini und Donizetti.

Zustande gekommen ist so eine Operette dansée, fabelhaft einstudiert in Hamburg von den beiden Ashton-Kämpen Alexander Grant und Jane Elliot, gezündet von André Presser und dem Phiharmonischen Staatsorchester. Und getanzt, dass es dem Publikum in den Zehenspitzen zuckt! Vom Corps, dem die schiere Tanzlust aus allen Gliedern sprüht. Und von der fußverlesenen Solisten-Equipe, dass es einen kaum im Parkettsessel hält. Silvia Azzoni und Alexander Riabko sind das schlecht behütete Paar – sie ein Ausbund an flirtend-flirrender Backfischhaftigkeit (dabei ungemein anrührend in ihrer Mutterschafts-Vision – wie ein Model für eine demografische Popularitätskampagne) – er ein herzensbrechener Kavalier und ein Elegantissimo der virtuosen Verführungskunst, der so gern über das bloße Petting hinausginge.

Und Hamburg hat die Charaktere für das Typen-Bestiarium dieser Comédie ruritaine – auch wenn Kevin Haigen seine Witwe Simone leicht überzieht. Sébastien Thill ist der pompöse Weinbauer Thomas, mit Bordeaux supérieur anstelle von Blut in den Adern, jeder Zoll ein Pomp-and- Circumstance-Mann, und – wer anderer aus dem Hamburger Ensemble? – Yukichi Hattori sein ausgesprochen liebenswerter, ungemein naiver, schusseliger Sohn Alain (offenbar der Vetter eines gewissen böhmischen Wenzel). Und kein Geringerer als Thiago Bordin der elegant französierende Flötist aus der Dynastie der Rampal. Welch ein Ensemble! Und mit welch einer Lockerheit und welch einem augen- und fußzwinkernden Charme serviert es diese tänzerischen Trüffel aus der Cadbury-Confiserie à la manière française!

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