Im Zeichen Stuttgarts

Zur 23. Verleihung des Deutschen Tanzpreises

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Essen, 11/02/2006

Es ist das alljährliche Familientreffen des deutschen Balletts: die Verleihung des Deutschen Tanzpreises im Essener Aalto-Theater. Und so waren auch diesmal, zum 23. Mal, fast alle, die sich zur Familie gehörig rechnen, nach Essen geeilt – offenbar ganze Wagenladungen aus Stuttgart, galt es doch, mit Reid Anderson, Alicia Amatriain, Jason Reilly und Cristian Spuck gleich vier Vertreter des Stuttgarter Balletts zu ehren. Und wem das vielleicht diesmal ein bisschen viel an Schwabenprominenz war, der musste doch am Ende des langen Abends zugeben, dass – bei aller freundschaftlichen Alliance mit Berlin, Hamburg, Frankfurt und München, nicht zu vergessen schließlich Dresden und Leipzig und Mainz und ... – das Herz des deutschen Balletts in der Neckar-Metropole schlägt.

Wer hätte das vor fünfzig Jahr gedacht! Es hat sicher auch damit zu tun, dass hier die Vergangenheit so fest im Bewusstsein verankert ist. Und so wurde denn auch von den diversen Festrednern kaum ein Name so oft genannt wie der von John Cranko – kein Wunder, da der Hauptpreisträger, Reid Anderson als Chef des Stuttgarter Balletts, das lebendige Verbindungsglied zu Cranko vertritt und Marcia Haydée, als Andersons Laudatorin, quasi als Lordsiegelbewahrerin des Crankoschen Erbes fungiert. Und dass im Rahmen des Festprogramms Uwe Scholzens „Siebte Sinfonie“ als Hauptwerk den krönenden Abschluss des Abends bildete, lieferte den Beweis, wie sehr die Stuttgarter Vergangenheit von der heutigen Tänzergeneration mit blühendem Leben erfüllt wird. Wobei sich mancher, der von der Vorabendpremiere in Mainz direkt nach Essen geeilt war, fragte, ob denn die dort uraufgeführte ebenfalls „Siebte Sinfonie“ sich auch nach 15 Jahren noch so einer pulsierenden tänzerischen Vitalität erfreuen wird wie die 1991 kreierte Scholzsche Version.

Fulminant schon der unkonventionelle Auftakt mit „Le Grand Pas de deux“, an dem alle drei Jugendpreisträger beteiligt waren: Spuck als Choreograf und die beiden Hochleistungstänzer Amatriain und Reilly – gewissermaßen als „amuse geule“ des Programms – als Appetits-, nein nicht -zügler, sondern als Appetitsstimulierer. Es folgten die obligatorischen Reden, Begrüßungen, Preishymnen und Danksagungen – mit Ulrich Roehm als Hausherr der Gala, dem Essener Bürgermeister Norbert Kleine-Möllhof, Lothar Späth als Vorsitzendem des Kuratoriums zuständig für Jugend und „Zukunft“, sehr persönlich und engagiert Marcia Haydée als Vorgängerin des heutigen Ballettchefs und schließlich Anderson, der als Preisträger sichtlich bewegt für so viel Ehre dankte.

Und damit‘s nicht zu rhetorisch wurde, durften Amatriain und Reilly mit Itzik Galilis „Mono Lisa“ zwischendurch beweisen, dass sie mit ihren Füßen, Armen und sonstigen Körperteilen mindestens so eloquent sind wie die aufgebotenen Festredner. Ja, und dann gab‘s auch noch einen stimmungssteigernden Überraschungscoup: einen Auftritt von José de Udaeta, inzwischen Doyen der Versammlung, der mit seinem Kastagnetten-Virtuositätsakt noch eine ganz persönliche Hommage an die Preisträger darbrachte – ein regelrechtes Konzert für Kastagnetten solo, witzig und charmant, dass man einem wortlosen Dialog zwischen ihm und den so Geehrten zu vernehmen glaubte. Wie gesagt: da war die Familie ganz unter sich – unter dem globalen Wappen der Terpsichore.

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