Trivialgeständnisse für die Ewigkeit

„Onager“ in der Hörspielzentrale des HAU 2

Berlin, 12/01/2006

Persischen Wildesel und antike Wurfmaschine bezeichnet das Wort Onager. Doch weder um die ausgestorben geglaubte Tierart noch um das Kriegsgerät geht es wirklich in Hermann Bohlens 2004 für Radio Bremen entstandenes, gleich ausgezeichnetes Hörspiel selben Titels. Vielmehr montiert er eine gute Stunde lang in privaten und öffentlichen Archiven entdeckte Tonbänder aus den 1950ern zu einer so surrealen wie beklemmend realen Sicht auf bundesrepublikanische Vergangenheit. Lars Scheibner, Tänzer an der Komischen Oper, nun in Kiel, fügte, fasziniert von diesem Stoff, der Hörkomponente seinen Tanzanteil hinzu. Die Reihe Hörspielzentrale im HAU 2 zeigte das sinnliche Ergebnis als Gastspiel.

Eine geweißte Gestalt im Inkarnatslip liegt neben einem Bonsai-Stillleben aus Tümpel, Baumstumpf, Blütenstrauch und Pagode. Über dieses absonderliche Erdwesen ergießt sich unter dem Thema „Taurige Tiere“ der scheinbare, raffiniert gefügte Dreier-Disput von Zoodirektor Bernhard Grzimek, einem Radiosprecher und Clown Grock. Nichts passt inhaltlich, vieles aber verbal zueinander.

Philosophiert wird über wurmschlingende Erdkröten, schleichende Überbevölkerung und schließliche Ver-Wüstung unseres Planeten, Krankheitsprophylaxe, forsche Kriegsauftritte vor Soldaten, verschwindende Tierarten. Der Tänzer – filigran in Körper und Gestik Preslav Mantchev – kämpft gegen die absurden Situationen in fein ersonnenen Bildern, um schrumpfenden Lebensraum etwa, mit Butoh-Vokabular an.

„Maria, fang an“ als Mittelteil beutet Fragmente aus dem Klub der Tonbandfreunde aus. Altmodisch, unprofessionell, gespenstisch klingt, wie da Kinder zu Statements, so Werbe-Nachahmung, animiert werden. Mit Papier Vermummte erobern das Terrain, verdrängen das Erdwesen in ein Glaskasten-Refugium, häuten sich.

Erschreckendes über die lächerliche Banalität des Lebens im Wirtschaftswunder-Land enthüllt „Frage Nr. 1“, ein Grußtonband an die fernen Lieben in Saudi-Arabien: Geplapper um boomende Branchen, steigende Beschäftigung, privaten Rechtsstreit, launigen Alkoholkonsum, unlautere Krankschreibung – schier unerträgliche Trivialgeständnisse für die Ewigkeit. Eingesperrt in ihre Welt sind jener Redner, ein regloser Mann am Tisch, das rebellierende Erdwesen im Überkäfig aus Zellophan. Nichts geht mehr.

 

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