Melancholische Elfen des Bossa-Nova

Die brasilianische Quasar Cia de Dança in Ludwigsburg

Ludwigsburg, 23/06/2006

In jedem Juni bekommt Stuttgart zwei Wochen lang das Tanzhaus, das sich die kränkelnde Off-Szene hier so dringend wünscht: Die Festspiele im nahen Ludwigsburg werfen ihr Tanzprogramm in der Karlskaserne an. Unter dem Motto „Festspiele Off“ finden im schönen, wenngleich heißen Ambiente einer ehemaligen Reithalle dicht gedrängte Gastspiele von modernen Kompanien aus aller Welt statt. Meinrad Huber, der Ludwigsburger Projektleiter für den Tanz, feiert jetzt ein kleines Jubiläum: Seit 10 Jahren gibt es das umfangreiche Tanzprogramm, vorher fanden bei dem vorrangig konzertorientierten Festival lediglich einzelne Ballettgastspiele statt. Seitdem war fast alles da, was Rang und Namen hat in der modernen Tanzszene, vieles davon sogar ein bisschen früher als anderswo.

Meistens bestand das Tanzprogramm in einer guten Mischung aus Zeitgenössischem mit etwas moderner Klassik, neuerdings aber tendieren Huber und der neue Ludwigsburger Festspielchef Wulf Konold zur puren Moderne. Schon zum zweiten Mal war nun die Quasar Cia de Dança aus dem brasilianischen Goiânia zu Besuch: nach der „Choreografia para ouvir“ jetzt mit dem Abend „It could only be with you“ (im Original „Só tinha de ser com você“), getanzt zu Liedern der beiden großen brasilianischen Sänger Elis Regina und Tom Jobim. Letzterer gilt als der Erfinder des Bossa Nova, nicht des Gesellschaftstanzes, sondern der rhythmisch-fließenden, im Fall der hier ausgewählten Balladen sogar ein bisschen nachdenklichen Musik. Von Glück und von Desillusion singen die beiden legendären Interpreten mit ihren markanten Stimmen, von Einsamkeit erzählen die meisten Bilder der Choreografie von Henrique Rodovalho. Das Stück beginnt auf dem Boden, wohin es im Lauf seiner einstündigen Dauer auch immer wieder zurückkehrt. Wie verpuppte Insekten liegen die Tänzer auf dem Boden, immer wieder bewegt sich nach einer geheimnisvollen Gesetzmäßigkeit eine Gruppe von ihnen, bevor sehr leise der erste Song und mit ihm eine nie abreißende Folge von Solos, Duos und Ensembles beginnt. Dünne, vertikale Streifen laufen wie stilisierter Regen die Rückwand herunter, auch das Licht fällt oft in schmalen, geraden Streifen auf die Bühne. Getanzt wird barfuß und in durchsichtig-weißen, engen Hemden und Hosen, die Frauen tragen als melancholische Elfen der Bossa-Nova mitunter auch zarte Schleierröckchen.

Die Bewegungssprache des Kompanie-Leiters Rodovalho vereint Ideen aus vielen Stilen zu einem kaum je unterbrochenen, ruhigen Fluss von großer Schönheit. Dessen wechselnde Betriebstemperatur misst sich nicht in äußerlichen Effekten, sondern schwillt langsam, kaum merklich auf und ab. Mit seinen nahtlosen Übergängen, mit einer überhaupt ständig fließenden Choreografie schmiegt sich Rodovalho in die sinnlichen, gar nicht so schnellen Rhythmen des Bossa-Nova und in die Weichheit des brasilianischen Portugiesisch. Er integriert Material aus dem Modern Dance und zeitgenössische Spielarten in sein sinnliches, körperbetontes Idiom – Forsythesche Hüftverschiebungen fließen mit aufreizendem Disco-Tanz ineinander, selbst ein Moonwalk wird in eleganter Geschmeidigkeit absolviert, und manche Solos finden fast vollkommen im Sitzen statt. Statt miteinander tanzen die vier Männer und vier Frauen viel öfter parallel und nebeneinander, herausgehoben durch einzelne Lichtspots und getrennt durch die Dunkelheit dazwischen. „It could only be with you“ ist ein eher ruhiges Stück, das sich wie eine sanfte Woge langsam aufbaut und eine innere Sehnsucht entwickelt, das ganz allmählich rhythmischer und schneller wird, leidenschaftlicher und sinnlicher – nur um dann, als man die letzte Steigerung erwartet, wieder zurück zu ebben in seine etwas distanzierte Einsamkeit. Vielleicht überrascht es einfach, im brasilianischen Tanz einmal nicht der Lebensfreude der Südamerikaner zu begegnen, sondern ihrer Melancholie.

 

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