Altmeisterliches
Tanz im August: Neues von Jérôme Bel und Estelle Zhong Mengual sowie Meg Stuart und Francisco Camacho
Volljährig sei ihr Festival geworden, preisen die Veranstalter den 18. Tanz im August an und präsentieren in sieben Berliner Spielstätten an 17 Tagen 24 Produktionen aus 15 Ländern von vier Kontinenten. Bekannte Größen und Neuentdeckungen mühen sich, dem zeitgenössischen Tanz, Gesicht, Qualität, Zukunft zu geben. Berlins Kultursenat und der Hauptstadtkulturfonds finanzieren, was ein Kuratorenquartett im Auftrag von Hebbel am Ufer und TanzWerkstatt für das Internationale Tanzfest nominiert hat.
Bereits zur Halbzeit deutet sich an, dass der Zögling auch im Jahr seiner Initiation Wachstumsstörungen, Schönheitsmakel, Schwachstellen aufweist und exemplarisch den Zustand des zeitgenössischen Tanzes spiegelt: Krise neben Kreativität, Enttäuschung neben Überraschung, Rückgriff neben Fortschritt. Dass renommierte Choreografen, durch ihren Ruf und entsprechend reichlich fließende Zuschüsse zur Produktion befähigt wie verdammt, unter aller Erwartung blieben, scheint ein typisches Festivalphänomen.
Für einen heiter fulminanten Auftakt sorgte die Belgierin Michèle Anne De Mey, seit 2005 Leiterin der Gruppe Charleroi/Danses. Ihre mit neuer Mannschaft einstudierte „Sinfonica Eroica“ von 1990 verstrickt neun Darsteller in Begegnungen und verströmt 80 Minuten lang Leichtigkeit des Seins. Unangestrengt flinkfüßig entwickelt sich der Tanz aus dem Spiel, unterlegt sich zwanglos Teile aus Beethovens „Eroica“ und Mozarts „Bastien und Bastienne“ sowie Musik von Jimi Hendrix und einen Paso doble.
An einem Seil rollen Tänzer, tränken die Szene mit Wasser, gewinnen rutschend neuen Bewegungsspaß. Tiefen Eindruck hinterließ das Wiedersehen mit Louise Lecavalier, fast zwei Jahrzehnte Star von LaLaLa Human Steps aus Kanada. Landsmann Benoît Lachambre choreografierte ihr als „‘I’ is Memory“ einen faszinierend skurrilen Trip in die Welt extremer, raffiniert ausgeklügelter Langsamkeit auf den zierlichen Leib. In übergestülpter fremder Haut zündet Lecavalier, gelber Paradiesvogel, Animationsfigur, Tentakelwesen, Breakdancer, ein Feuerwerk aberwitziger Balancen zwischen Stuhl und Stange. Ihr Körper scheint knochenlos und ruckfrei in alle Richtungen zerfließbar. Auch tanztechnisch ein Meisterstück.
Was Lachambre indes für die zehn Tänzer seiner eigenen Compagnie par b.l.eux entwarf, tritt quälend auf der Stelle. Grauköpfe philosophieren einstündig über Ort und Raum, zittern und zucken, taumeln und toben, kontaktunfähig, formlos. Lediglich die Bühne verändert sich stetig. Wo man im Kreis geht, läuft nichts mehr rund, heißt es im Text. Auf „Lugares Comunes“ mit seinen schräg abgelagerten Körpern trifft exakt das zu.
Auch dem Wahlpariser Mark Tompkins gelang mit „Animal“ kein Coup. In einer Billigshow um tierhafte Kreaturen des Dunklen und martialische Liebesgladiatoren benutzt er Tanga-Typen mit Fellumhang und Teutonenhaube, sich predigend, parlierend, singend als skrupellos schikanöse Schiedsrichter körperschädigend rabiater Kämpfe zu präsentieren. Emerson, Hitler und Salomo lieferten die Texte des unappetitlichen Spektakels, dem einzig aufflammende Zärtlichkeit am Ende eine Wende verleiht.
Bleiben die Newcomer. Welche Wut die Mittzwanziger Ann Liv Young und ihre Coaktrice treibt, splitternackt in wilder 20-Minuten-Attacke ein plüschiges Zimmer zu demolieren, sich selbst dabei zu verletzen, aus Rage den Urin laufen zu lassen, weiß allein der Himmel über ihrem heimatlichen New York. Die Zeit provozierender Protestaktionen wähnte man seit Jahrzehnten vorbei. Umso mehr gewann vor diesem Hintergrund, wie ehrlich sich Potsdamer und Berliner Jugendliche sowie Asylbewerber unter Anleitung von Lenah Strohmaier mit dem Thema „Krieg“ auseinandersetzten. In einer szenischen Collage aus Tanz, Text und Video zeigten sie über Kulturen und Religionen hinweg Bilder von Flucht, Vertreibung, Misshandlung, verbreiteten Hoffnung auf eine politisch engagierte junge Generation.
Emanuel Gat aus Israel überzeugte besonders mit einem energetisch flüssigen, frei der Musik nachspürenden Männerduett zu Liedern aus Schuberts „Winterreise“: Immer wieder prallen die Tänzer auf Diagonalwegen zusammen, umkreisen einander, nehmen Anlauf zu neuer Begegnung. Gats Salsa-Version zu Strawinskys „Sacre du Printemps“ trifft sich hingegen nur bedingt mit der wuchtigen Komposition.
Mette Ingvartsen aus Brüssel bebildert mit lebenden Skulpturen im hellblauen Ganzkörperkondom anonymen Gruppensex, der in einer nichtssagend exzessiven Swingparty strandet. Das originellste Erlebnis ist Brice Leroux aus Brüssel zu danken. Hinter einer Folie zeichnen fünf weiße Armpaare in einer frappierend fantasievollen Tour de force eine Stunde lang prismatisch sich ändernde Muster in den Raum: mechanische Getriebe, wandernde Winkel, fliegende Spreizschenkel, schwebende Buchstaben, tanzende Chromosomen. Schaukelnde Gebilde wie nächtliche Traumgesichte einer Dauertrance.
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