„Ausland“ von Jefta van Dinther

Zwischen Gleiten und Vollgas

„Ausland“ von Jefta van Dinther und „Skatepark“ von Mette Ingvartsen beim Tanz im August

Mitten rein ins urbane Leben werfen die Durational Perfomance „Ausland“ von Jefta van Dinther und „Skatepark“ von Mette Ingvartsen die Zuschauer*innen beim Tanz im August. Allerdings auf sehr unterschiedliche Weisen.

Berlin, 20/08/2024

Industriekatakomben revisited: „Ausland“ von Jefta van Dinther

Jefta van Dinthers „Ausland“ ist angelegt als zweieinhalbstündige (ursprünglich waren vier angedacht) Reise zu kurzen, mehr oder weniger verbundenen Performance-Inseln im Kraftwerk Mitte direkt neben dem Techno-Club Tresor – und einer Premiere, die von Tanz im August koproduziert wurde. Das Kraftwerk Berlin ist eine industrielle Katakombe mit sehr großen, dunklen Betonräumen, in denen verschiedene, aber immer sehr einfach gehaltene Bühnensettings installiert sind. Um einen großen freien Raum etwa liegen Matratzen, auf zwei Wänden werden zu Beginn Videos gezeigt, im Obergeschoss von einem Computerspiel, eines grafisch stark düsterem Jump’n’Run mit Puzzles, unten drehen sich in der Projektion zwei Tänzer miteinander. Es ist kalt dunkel, ein wenig theaterneblig und auch die elektronische Musik von Billy Bultheel ist den ganzen Abend über eher dräunend, dunkel und wabernd. Sommer und Welt sind ausgesperrt und die neun Performer*innen, darunter auch der Choreograf selbst, führen durch dieses Ausland, das als „Irrgarten an Performances“ angekündigt ist.

So irre wird es denn nicht, vielmehr gibt es eine klare Abfolge an unabhängigen Performances, die sich zeitlich leicht überlappen. Die Ansätze sind dabei sehr unterschiedlich. Den Anfang macht eine klare Gruppennnummer. Drei Tanzende sitzen auf einem der Matratzenhaufen, wiegen sich zusammen und gegeneinander, Rivalitäten und Harmonie, freundliche Kabbeleien bis schließlich vier weitere zu der Gruppe hinzustoßen, sich einfügen und wie ein großer Wurm hin und her wiegen, bloß um dann in Zweiergruppen auseinanderzugehen. Diese poetisch gedehnten Momente um die Hoffnung nach Zusammenhalt werden unterbrochen durch einen Tänzer auf einem Segway, der in eine zweite Bühnenfläche (wo zuvor die Videos flatterten) fährt und dort ein Ballett mit Staugsaugerrobotern aufführt. Simpel und nett bis dann an gleicher Stelle alle Tanzenden in einem Pulk mit verschiedenen Reihen sich langsam über die Bühne bewegen, als ob sie sich im Wind wiegen. Dazu rauschen Texte durch die Atmosphäre: „Can you open your mouth?“ 

An anderer Stelle schließlich unter einem rechteckigen Neorahmen erblickt eine nackte Homunkula das Licht der Welt, nähert sich einem der erschöpften Tänzer, zieht ihn umständlich und sehr langsam aus, um dann von den anderen, die mit mobilen Tonboxen ausgestattet sind, durch den Raum geführt zu werden. Auch hier sind die Bilder, die der niederländisch-schwedische Choreograf gefunden hat, eindringlich und sinnlich. Zugleich aber bleibt dieses „Ausland“ über weite Strecken ein verrätseltes und kratzt über weite Strecken auch energetisch am Nullpunkt. Die Inszenierung wuchtet gekonnt Atmosphären aufeinander, aber diese ergießen sich dann in einer seltsamen Gleichförmigkeit in den grauen, kalten Raum und schaffen es nur selten, das Publikum wirklich zu berühren. Auch inhaltlich bleibt alles eher vage, so dass man den Eindruck einer mühselig-anstrengenden Verkopftheit nicht los wird.

Tempo, Tempo, Tempo: „Skatepark“ von Mette Ingvartsen

Das kann man dem zweiten Abend, der mit den Insignien der urbanen Kultur spielt, freilich gar nicht vorwerfen: „Skatepark“ von Mette Ingvartsen. Die dänische Choreografin lädt genau dahin. Schon zum Eintritt in das Haus der Berliner Festspiele sausen Berliner Kinder und Jugendliche auf den Quaterpipes, Rampen und einer Stahlschiene hin und her auf ihren Boards und Rollschuhen. Wild, schnell, voller Energie doch zugleich voller Rücksicht, um Kollisionen zu vermeiden. Willkommen im soziokulturellen Zentrum Festspielhaus. Die Spannung steigt, zumal ja Rollschuhe auf der Tanzbühne wieder en vogue sind, wie ja Florentina Holzinger gerade mit ihren rasenden nackten Nonnen gezeigt hat. Auch Starlight Express ist seit Jahrzehnten ein Renner.

Nach dem Prolog mit den sieben lokalen Skater*innen geht es dann gleich in die Vollen. Es wird geskatet, was das Zeug hält, und es wird musikalisch mit ganz viel Punk und live gesungen von den beiden Performerinnen auf Rollschuhen. Ein Breakdancer tritt zwischen all den Rollen auch kurz auf, doch vor allem fahren die 16 Performer*innen auf ihren Boards und Rollschuhen auf dem Parcours hin und her, bauen eine Rampe auf, sliden und haben offensichtlich ganz viel Spaß bei der Sache. Skateboards weden übereinander gesteckt und ein Sprungwettbewerb veranstaltet, bei acht Boards ist dann Schluss. Alle haben eine ganz ordentliche Technik, aber ein Tony Hawk ist nicht dabei, vielmehr bewegt sich alles auf dem Niveau der Abschlusspräsentation eines soziokulturellen Zentrums. Zwischendurch ein bisschen Musik – laut und aggressiv: „Get out of may way!“

Das ist alles nett anzusehen, bleibt aber am Nullpunkt der Authentizität hängen, da außer dem energetischen Herumkreiseln tatsächlich gar nichts passiert. Wenn der Abend tatsächlich „die choreografischen Möglichkeiten von Skateboards und Inlineskates auslotet“, wie es das Programmheft vollmundig verspricht, dann kann man als Fazit feststellen, dass es da offensichtlich nicht viel gibt außerhalb des Modus der körperlichen Betätigung – zumindest nicht für den Tanz. Als generelle Aussage sicher übertrieben, doch für diesen Zugriff von Ingvartsen leider zutreffend. Denn es ist im Grunde gar kein Zugriff, sondern ein schlichtes Laufenlassen in Jugendclub-Atmosphäre, ohne auch nur den Versuch einer Verschiebung/Überhöhung/Verfremdung - also irgendeiner Form der künstlerischen Bearbeitung – außer am Ende, wo mit Masken und Licht noch versucht wird wenigstens irgendwas zu fabrizieren, was mehr als nur Skaten ist. Doch auch das bleibt unausgegoren. Das Ergebnis ist schlicht ein platter Skating-Abend ohne künstlerische Fallhöhe, wie er jeden Tag in echten Skateparks stattfindet. Und dafür braucht es dann auch keine große Bühne.

Vielleicht aber war es aber auch nur ein Marketing-Trick des Festivals, um einmal junge Leute ins Haus der Festspiele zu locken. Das immerhin ist am diesen Abend geglückt.

 

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