Sommer, Tanz, Berlin
34. Internationales Festival Tanz im August - Eine Bilanz
Diffuse Vielfalt bot das 26. Internationale Festival Tanz im August
Verwirrende Vielfalt ist der hauptsächliche Eindruck, den die 26. Ausgabe des internationalen Festivals „Tanz im August“ hinterließ. Von den 19 besuchten Gastspielen haben sich viele dem Gedächtnis eingeprägt, wenngleich aus ganz verschiedenem Grund, wenige waren Höhepunkte. Als einsamer Solitär ragt Anne Teresa De Keersmaekers „Vortex Temporum“ heraus. Benannt hat die Belgierin ihr Meisterwerk nach der begleitenden, live aufgeführten Komposition von Gérard Grisey. In Wirklichkeit sind Musik und Bewegung hier derart verzahnt, dass der Begriff des Gesamtkunstwerks kaum ein besseres Beispiel finden könnte. Die Choreografie übernimmt die Halbkreisaufstellung der sechs Instrumentalisten und reagiert ungemein feinfühlig auf deren Vorgaben, Gehauchtes und Gefauchtes, Gekratztes und Grelles, Auffahrendes und Abschwellendes. Als sich Flügel und Pianist betont langsam im Uhrzeigersinn über die Bühne bewegen, zieht das die sieben Tänzer in den Tonsog: Klang bewegt sich durch den Raum und wird Initiator des Tanzes. Bei allem Gewölk der Künste, dem sich mitwandernd Licht addiert, bleibt die beinah mathematische Struktur transparent, ohne jede Leerstelle, und atmet den Zauber eines kosmischen Flutens. Gleitend, kippend, springend, laufend geht Musik, die man für untanzbar hielte, sichtbar durch den Körper; der reagiert uhrwerkhaft präzise auf die einzelnen Instrumente, bis sich die Spannung in Atemfrequenz auflöst.
Mit seinem daheim preisgekrönten „Plateau Effect“ von Jefta van Dinther präsentierte das schwedische Cullberg Ballet ein weniger tänzerisch als dramaturgisch-inszenatorisch gelungenes Gleichnis gemeinschaftlichen Handelns. Lange brauchen die neun Tänzer, ehe sie an ein riesiges Tuch Hand anlegen, es nervös verseilen, sich verstricken, zu einem lindwurmhafte Hängeidol verformen; in Trance beten sie es an, vergessen sich, bis sie schlagartig Dunkel umfängt. Den berührendsten Beitrag lieferte Frankreichs Choreografiestar Maguy Marin. Im Solo „Singspiele“ reißt Schauspieler David Mambouch ein fotografisches Konterfei nach dem anderen, wie eine endlos dicke Maske vor dem Gesicht getragen, geradezu zärtlich ab, verwandelt sich in Gestik und Kostüm in die jeweils zugehörige Person, prominente wie auch unbekannte, und führt so ein Typenuniversum vor: Was wir sind, sein können oder wollen, was am Ende bleibt – der Schrei nach Anerkennung.
Hochgehandelt wurden La Vernonal aus Barcelona und ihr Stück „Siena“. Vor einer Reproduktion von Tizians „Venus von Urbino“ in einem imaginären Museum ereignen sich surreale Dinge: Eine Besucherin stirbt, Menschen in Fechterdress tanzen in schöner Unbeirrtheit, Mussolini palavert, derweil sich Körper zum Hakenkreuz formieren; wiederholt fragt der Text vom Band, was hinter dem Bild, Synonym für Kunst, sei. Als es sich weghebt, liegt dort aufgebahrt – die Leiche, rätselhaft geheimnisvoll. Konkreter lässt der Italiener Alessandro Sciarroni Jongleure mit Keulen hantieren, bis sie ermüden, die Objekte Gewalt über sie bekommen, und liebenswürdig menschliche Begrenzheit erkennbar wird. Mit Feuer, eminentem Können, auch einer Portion Ironie zelebrieren Hiphopper aus Kinshasa überaus sympathisch lokale Popkultur, die so weit von der europäischen gar nicht entfernt ist. Wie man mit Zitaten des Alten Testaments, Elektropop und skurrilem Spiel Amüsement erzielt, bewies The Loose Collective aus Wien.
Absoluter Tiefpunkt des Festivals: ein frappant substanzloses Duett der Israelin May Zarhy. Das wirft Fragen nach der Wahl der eingeladenen Beiträge auf. Arg gestrige waren darunter wie das Big Dance Theater aus New York, nervige wie die beiden überlagerten Soli von Mamaza, misslungene, weil nicht auf den Punkt gebrachte wie die Kritik der Schweizerin Alexandra Bachtzetsis am Zwang, permanent schön und perfekt zu sein. Mit ähnlicher Stoßrichtung agierte als grottenschrillster Act Miss Revolutionary Idol Berserker aus Japan: Materialschlacht aus Wasser und Objekten, die das plastikmantelverhüllte Publikum hyperaktiv, gnadenlos laut und militärisch korrekt attackiert. Dekadenzgetöse, Billigklamauk, überdrehte Medienschelte?
Dass Festivalleiterin Virve Sutinen den Konzepttanz außen vor ließ, ist ihr anzurechnen. Dass sich keine Produktion Problemen der Zeit stellte, scheint bedenklich. Vielleicht sind die Kriege, unter denen die Welt ächzt, zu frisch, als dass langengagierte Ensembles darauf reagieren könnten. Vielleicht aber ist der diffuse Eindruck, den der zeitgenössische Tanz bei „Tanz im August“ hinterlässt, sein Kommentar zu einer aus den Fugen geratenen menschlichen Sozietät. Bedauern mag man, dass die Brücke zum Theatertanz, wie ihn vergangene Editionen versucht hatten, abgebrochen ist. Bezahlbar kleinere Arbeiten etwa von Kylián, Goecke, Schläpfer bekämen dem künstlerischen Standard des Festivals künftig gut.
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