Tanztriennale – History trifft Future
Neue Leuchtturmförderung für den Tanz
Sabine Gehm und Katharina von Wilcke im Interview mit Nina Hümpel
Nina Hümpel: Sie sind die beiden Projektleiterinnen des im April in Berlin stattfindenden Tanzkongresses Deutschland. Was wird dort passieren?
Sabine Gehm: Unter dem Motto „Wissen in Bewegung“ bietet der Tanzkongress ein Forum mit Vorträgen, Lecture Performances, Lecture Demonstrations und einer Reihe von Podien. Wir haben über 100 Referenten, nationale und internationale eingeladen, und erwarten Fachpublikum aus den verschiedensten Bereichen: aus dem zeitgenössischen Tanz, aus dem klassischen Ballett, Tanzpädagogen, auch Kulturpolitiker und Produzenten. Das Ganze ist natürlich auch eine Art Branchentreff und ein selbstbewusstes Signal der Szene für die künstlerische und kulturpolitische Bedeutung des Tanzes.
Erwarten Sie auch Tänzer?
Sabine Gehm: Auch Tänzer selbstverständlich, an die richtet sich der Kongress in erster Linie!
Inwieweit orientiert sich der Tanzkongress am Vorbild der legendären Tänzerkongresse Ende der 20er Jahre, von der Idee oder von der Programmatik her?
Katharina von Wilcke: Eigentlich waren die historischen Tänzerkongresse eine Art Initialzündung für uns bzw. die Kulturstiftung des Bundes, weil es ein derartiges Forum in dieser Größenordnung seit den 20er Jahren nicht mehr gab (die Kongresse der 50er Jahre sind sehr schlecht dokumentiert). Bei den Inhalten gibt es Themen, die damals auch schon behandelt wurden, und andere, die historisch bedingt für uns erst heute relevant sind.
Sabine Gehm: Wobei es tatsächlich erstaunlich viele Parallelen gibt, z.B. wurde damals im Zusammenhang mit dem Thema Ausbildung über die Gründung einer Tanzhochschule diskutiert. Oder es ging um die Forderung, Tanz als Gegenstand der Wissenschaft anzuerkennen. Andere Themen wie die Gründung einer Tanzzeitschrift sind heute nicht mehr relevant. Der Kongress war damals Ausgangspunkt für eine Reihe von Projekten. An diesem Aspekt von damals möchten wir anknüpfen. Auch an den Gedanken, verschiedene Leute aus den unterschiedlichen Bereichen an einen Tisch und miteinander ins Gespräch zu bringen: z.B. Tanzpädagogen, Tanzmediziner, Tänzer und Hochschuldozenten.
Eine Frage der Tänzerkongresse damals war ja auch, inwieweit man den zeitgenössischen Tanz, damals also den Ausdruckstanz, mit dem klassischen Ballett zusammenbringen kann. Ist das jetzt auch ein Thema des Kongresses?
Katharina von Wilcke: So explizit nicht. Es gibt aber bei fast allen Themen Aspekte oder Fragestellungen, die beide Bereiche berühren z.B. die Frage der Rekonstruktion. Da haben wir einerseits Susanne Linke eingeladen, die über die Rekonstruktion einer Choreografie Dore Hoyers spricht und andererseits die Repetitorin Colleen Neary vom Balanchine Trust, die mit ihrer Lecture Demonstration Einblicke in ihre „Rekonstruktionsarbeit“ gibt. Wir versuchen, alle Themen für die verschiedensten Tanzsprachen zu öffnen.
Damit kommen wir auch schon zur nächsten Frage: Wie navigieren sich die Besucher durch das Programm? Können sie sich das Programm frei nach ihren Interessen zusammenstellen?
Katharina von Wilcke: Wir haben schon versucht, den Zeitablauf so zu gestalten, dass jemand, der sich für ein bestimmtes Thema wie „Tanzmedizin“ oder „Tanz als Arbeit und Ware“ interessiert, alle Veranstaltungen zu diesem Thema wahrnehmen kann. Das Navigieren ist dem Besucher ganz individuell überlassen, jeder setzt seine Bausteine selbst zusammen.
Sabine Gehm: Andererseits sind einzelne Veranstaltungen einem Themenschwerpunkt zugeordnet, die aber gleichzeitig auch für andere Themenbereiche wichtig sind. So geben der Vortrag über Tanzmedizin oder das Podium über Tanzkarrieren im Übergang natürlich wichtige Anregungen für das Thema Tanzausbildung. Wir hoffen natürlich, dass diese Überschneidungen dazu führen, dass beispielsweise die Tanzpädagogen nicht unter sich bleiben und sich nur für den Bereich Ausbildung interessieren oder dass die Tanzwissenschaftler sich nur mit tanzwissenschaftlichen Fragen auseinandersetzen, sondern dass sich die Interessengruppen mischen. Im besten Fall sollte sich jeder aus allen Bereichen sein Programm zusammenstellen. Der Kongressteilnehmer sucht sich seinen eigenen Pfad durch das Kongressprogramm, dabei kann er natürlich auch Umwege gehen.
Wie sieht das Rahmenprogramm aus?
Katharina von Wilcke: In Kooperation mit den Berliner Spielstätten haben wir versucht, während des Kongresses ein breites Spektrum an Tanz zu präsentieren: Die Bandbreite reicht vom Staatsballett über Sasha Waltz und Joachim Schlömer bis hin zu Jerôme Bel und Eszter Salamon. Die Kongressbesucher können am HAU, in den Sophiensælen, in der Staatsoper unter den Linden, in der Schaubühne, im Podewil und im Dock 11 die unterschiedlichsten Tanzvorstellungen sehen. Für Tänzer gibt es zusätzlich die Möglichkeit, an „Tanz hoch zwei“, einem Workshop-Programm in der Tanzfabrik Berlin teilzunehmen.
Was passiert bei der Eröffnung des Tanzkongresses Deutschland?
Sabine Gehm: Kulturstaatsminister Bernd Neumann und Hortensia Völckers von Kulturstiftung des Bundes werden den Kongress eröffnen. Dann folgt ein Bühnenprogramm mit „N.N.N.N.“ von William Forsythe und einem Solo, das Sasha Waltz für Vladimir Malakhov anlässlich des Kongresses choreografiert hat. Anschließend gibt es eine große Installation, den „Schwarzmarkt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen“ von Hannah Hurtzig, in der über 100 Experten ihr Wissen zum Tanz im weitesten Sinne anbieten. Die Kongressteilnehmer werden zu Kunden, die einen halbstündigen Vortrag in einer Face-to-Face-Situation buchen können. Damit erweitert sich noch mal die Themenvielfalt des Kongresses.
Nach welchen Kriterien wurden die Referenten ausgewählt?
Sabine Gehm: Wir haben ein Hearing gemacht, mit einer Arbeitsgruppe an den verschiedenen Themen gearbeitet und vor allem sehr viele Gespräche geführt, mit Künstlern, Tanzwissenschaftlern, Produzenten und dabei recherchiert, wer für welches Thema interessant sein könnte. Teilweise haben wir Fachleute für bestimmte Themen um Beratung gebeten.
Katharina von Wilcke: Die meisten Referenten sind Experten aus Deutschland, aber für bestimmte Themen gab es wichtige Spezialisten im Ausland, die wir dann eingeladen haben.
Wie bei „Transition“, das ist ja ein Thema, wo die anderen europäischen Länder wesentlich weiter sind als die Deutschen, wo differenziert diskutiert wird und man besser und breiter organisiert ist.
Katharina von Wilcke: Genau. Das hat zur Folge, dass der Kongress zweisprachig organisiert ist und wir zu fast allen Veranstaltungen eine Simultanübersetzung haben. Wir merken an den Anmeldungen, dass auch zahlreiche Teilnehmer aus dem Ausland kommen, wie z.B. Tanzwissenschaftler aus Sao Paulo oder eine Tänzerin aus Singapur.
Sie erwarten also ein internationales Publikum.
Katharina von Wilcke: Ja.
Das Besondere an diesem Kongress ist ja, dass er von der Kulturstiftung des Bundes nicht nur gefördert wird, sondern dass die Kulturstiftung selbst Veranstalter ist. Der Kongress ist eingebettet in das Konzept des Tanzplanes.
Sabine Gehm: Der Kongress ist eine Initiative der Kulturstiftung des Bundes und wird von ihr finanziert.
Katharina von Wilcke: Der Tanzplan vor Ort wird ja erst über die Zeit in den Städten sichtbar werden. Der Tanzkongress ist sozusagen der Startschuss, ein Treffpunkt, wo man Bilanz zieht und sich darüber verständigt, was es für Tendenzen in der Tanzentwicklung Deutschlands gibt. Aber wo man auch Forderungen formulieren und Visionen entwickeln kann.
Sabine Gehm: Man kann feststellen, dass durch den Tanzplan vor Ort schon jetzt Akzente gesetzt sind. Der Kongress ist ein weiterer Impulsgeber, von dem wir uns erhoffen, dass er Entwicklungen anstößt oder bestimmte Forderungen der Tanzszene vorantreibt.
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