TANZKONGRESS 2013 – DER BLOG
Tag 4: Sonntag 9. Juni Jetzt ist er schon wieder vorbei, der Tanzkongress 2013 in Düsseldorf.
Tag 2: Freitag 7. Juni - „You have to fill it with your will, yo!“
von Anna Donderer, Christina Dettelbacher und Anna Wieczorek
Der 2. Tag auf dem Tanzkongress 2013 geht zu Ende. Langsam gewöhnen wir uns an das gemeinsame Pilgern von Vortrag zu Performance, von Salon zu Lecture. Beim Wechsel vom Tanzhaus NRW ins Capitol Theater schnappen wir kurz Luft und kneifen die Augen, die sich an die Dunkelheit oder das Kunstlicht der Vortragsräume gewöhnt haben zu und blinzeln irritiert und mit dem Kopf voller tanzender Gedanken ins Sonnenlicht, denn Ja! Es ist Sommer in der Stadt! Ach ja, da gibt es ja auch noch diese Welt da draußen. Ganz normale Düsseldorfer, die einkaufen, durch die Innenstadt bummeln oder arbeiten - der Kongress hat uns schnell in seinen Bann gezogen.
Performing Translations – Bewegungen übersetzen – so Untertitel und Leitmotiv des diesjährigen Tanzkongresses. Dass das mit der Übersetzung gar nicht so einfach ist, zeigt sich am heutigen Tag auf verschiedenen Ebenen. Und zwar nicht nur, wenn es um die simultane Übersetzung von verworrenen (Nancy-)Gedankengängen geht sondern vor allem, sobald die Übersetzung das Medium wechselt und nicht mehr (nur) über Sprache funktioniert. So wie das zum Beispiel bei Re-Somethings der viel diskutierte Fall ist. Immerhin wird das schwere Tanz-Erbe doch gleich viel sympathischer, wenn man den beiden netten „Detektiven“ der Tanzgeschichte – Kenneth Archer und Millicent Hodson – lauscht, die davon berichten wie sie die Welt der „Création du Monde“ zusammengepuzzelt haben. Ein Werk, das weder „Original“ ist, noch sein will, sondern vielmehr die kleine Utopie einer historischen Annäherung. Die Kostüme zum Beispiel waren in der Version von 1923 aus sehr viel schwererem Material gefertigt als die luftigen Nachbildungen von Hodson und Archer. Aber, so eine Vermutung von Hodson, vielleicht wollten die damaligen Regisseure genau diesen Effekt erreichen, hatten aber selber nicht die technischen Mittel, um den Tanz trotz kubistischer Formen leicht und schwebend aussehen zu lassen. Die Re-Kreation also als eine Art utopischer Projektion, die dem Vorgehen von (projizierten) Vorstellungen einer Art Negré gar nicht unähnlich sind.
Eigentlich eine interessante Verbindung, die Faustyn Linyekula in seiner Neubearbeitung des rekonstruierten Materials, das am Eröffnungsabend premierte, aber weniger interessiert. Wie sich im Gespräch mit dem kongolesischen Choreografen herausstellt ist seine Annäherung an das tänzerische Erbe eine kämpferische. Er suche die Konfrontation mit der Geschichte, wolle sich von der „Création du Monde“ von 1923 abgrenzen und nicht seine Faszination für eine vergangene historische Epoche darlegen, so wie das Team Hodson-Archer. Für Linyekula sei von Anfang an klar gewesen, dass die Rekonstruktion ein Teil seiner Performance sein müsse – aber eben nur ein Teil, ein Zitat – als die notwendige Kontextualisierung, auf der seine eigene Auseinandersetzung fußen könne. Drumherum habe er dann seine eigene Welt gebaut, nicht „die Welt“, sondern eben eine neben anderen.
Vererben – Copyright? Ah ja, Christoph Winkler. Auch auf die Gefahr einer Urheber-Rechtsklage hin und im Namen des Research und der Wissenschaft einige Gedanken aus Christoph Winklers „Dance! Copy! Right?“: Warum gewinnt beim Mario Dance Contest die Gruppe, die das Original am besten imitieren kann? Vereinfachen heißt ändern. Wann denkt man etwas Eigenes? Kann man nicht sowieso nur immer die Gedanken anderer denken? Das Denken findet einfach statt. You have to fill it with your will, yo!
Basierend auf einem Rechtsstreit am Landgericht Nürnberg/Fürth, zu dem Winkler als Sachverständiger geladen war, wirft er die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Urheberrechtsthematik im Tanz auf. Können Bewegungen oder ganze Choreografien ähnlich wie Marken geschützt werden oder sind sie, obwohl immer einzigartig, doch zwangsläufig und unvermeidlich die immer wiederkehrende Kopie bereits generierter Versatzstücke? Ist eine Kopie auch dann eine Kopie, wenn der ach so bedrohliche Plagiator rein gar nichts von seiner Sünde weiß? Winkler vermag es, seine berechtigten Einwände bezüglich der Absurdität der Sache ungekünstelt spielerisch und zuweilen - wie´s der Bayer sagen würde - „saukomisch“ auf die Bühne zu bringen. Er zeigt, dass der Tanz in strittigen juristischen Fragen immer noch selbst sein bester Verteidiger ist, wenn er den Anwalt als verkappten Hip-Hop-Fan zu Marios „Let me love u“ über die Bühne sliden lässt oder die Fragestellung nach dem Urheberrecht der Bewegung durch eine Oskar-reife Taubenimitation ins Groteske treibt. Wir wischen uns die Tränen aus den Augen und halten uns den vor Lachen schmerzenden Bauch, als wir den großen Saal des Tanzhaus NRW verlassen.
Doch der Tanzkongress lässt keine Zeit zum Verschnaufen. Ist er zu stark, bist du zu schwach? Unser Tipp: akzeptieren, dass man sich nicht kernspalten kann und es trotzdem versuchen. Deswegen sitzen wir gefühlte zehn Sekunden später im Salon „The Value of Dance“, der die globalen Bedingungen von Tanz diskutieren und Ideen und vielleicht sogar Institutionen verschmelzen will. Zahlreiche Vertreter weltweiter Tanzinstitutionen stellen zunächst ihre eigenen Häuser und Konzepte vor, dann wird das Plenum zur Diskussion geöffnet. Wie in der Grundschule will mal wieder keiner der Erste sein, dabei stellt sich kurz darauf heraus, dass der Redebedarf enorm ist. Die Komplexität der Thematik wird in den folgenden zwei Stunden zwar auch nur angerissen, dies jedoch erstaunlich flächendeckend. Von länderspezifischen Anforderungen und Voraussetzungen ist die Rede, der Fokus auf die Verankerung des Tanzes in der Bildung als wichtigstes Fundament zukünftiger Lobbyarbeit, wird ein ums andere Mal betont und die deutsche Seite scheint immer wieder leicht irritiert vom nonchalant rigorosen Auftreten der beiden australischen Vertreterinnen, die sich zu reißerisch anmutenden Parolen hinreißen lassen und selbstbewusst den Sturm auf die Bastille verkünden. Dass das Knüpfen von Netzwerken auf globaler Ebene unumgänglich ist, muss jeder zugeben, auch wenn viele beim Wort Netzwerk mittlerweile den Autopiloten einschalten.
Gegen Ende kommt dann zum Glück auch die Gegenseite der Künstler und Kunstschaffenden zu Wort und kreidet die langsamen Mühlen der Bürokratie und undurchsichtige zähe Förderstrukturen an. Wenn auch hilflos, werden sie angehört, doch der Ruf nach der Förderung kleinerer Projekte und vielversprechender Newcomer scheint trotz hallendem Echo leider global zu versiegen. Am Ende wird die Frage nach dem Wert des Tanzes dann wiederholt wie folgt beantwortet: „Give dance a value through money.“ Ob Staat, Deutsche Bank oder tanzaffiner Mäzen, ganz egal, immer her mit den Moneten. Ein wahres Wort, aber ein unschöner Beigeschmack, der am Ende der Diskussion verbleibt, da wir doch alle wissen, dass der Wert des Tanzes so sicherlich nicht im Kern getroffen ist.
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