TANZKONGRESS 2013 – DER BLOG
Tag 4: Sonntag 9. Juni Jetzt ist er schon wieder vorbei, der Tanzkongress 2013 in Düsseldorf.
Tag 3: Samstag 8. Juni – From the V to the D to the L and on and on...
von Anna Donderer, Christina Dettelbacher und Anna Wieczorek
Das „Andere“, die „fremde“ Kultur, „Interkulturalität“, – kein Wunder, dass die mit den Fingern angedeuteten Anführungszeichen die Geste des Tages sind. Leider bleibt die Thematik in vielen Vorträgen oberflächlich. Statt um die inhaltliche Diskussion scheint es oft vielmehr um das „Who is who?“ zu gehen. Socialising gehört zu so einer Veranstaltung natürlich dazu. Aber wenn es keinen Rückzugsort gibt, weil sogar die Roll-Rasen-Insel in der Mitte des Festivalzentrums keine Ruhe bietet, gibt es keine Möglichkeit mehr den Kopf frei zu kriegen von den (vor allem quantitativ) übermäßigen Input der verschiedenen Vs, Ls, Ds, Ws. und den weiteren Formaten. Aber verpassen will man ja auch nichts. Also legen wir eine kleine Pause auf der (farblich zum Tanzkongress passenden) lila Decke ein, bevor wir zum nächsten Vortrag eilen. Zum Beispiel zum Vortrag über die Digitalisierung des Pina Bausch Archivs – wir wollten ja schließlich immer schon mal wissen, wie Salomon Bausch aussieht.
Janet O’Shea's Vortrag „Die Vermarktung des Globalen in einer lokalen Ökonomie“ fragt nach den politischen Einflussmöglichkeiten des Tanzes. Wie so oft auf diesem Tanzkongress wird neben anderen Beispielen Faustin Linyekulas „La Création du monde 1923 – 2012“ besprochen. Der Tanz als Ausdrucksmöglichkeit transnationaler Solidarität, der die an Traumata leidenden „2nd generation minorities“ endlich zu Wort kommen lässt. Als Kontrapunkt eines globalisierten ungerechten Kapitalismus erhält das zoon politicon der dritten Welt endlich eine Stimme, um seinen Unmut über die immer noch existierenden kolonialistisch etablierten Strukturen kundzutun. Der Tanz als Retter. Künstlerische Kollaborationen geben dem Tanzkörper die Möglichkeit Untiefen angestauter innerer Ruinen glattzubügeln, politisch längst überfällige Positionen können überleben und finden ein gemeinsames Vokabular. Der böse objektivierende Kapitalismus wird von Ritter Tanz auf dem weißen Ross mit der Lanze der Subjektivität platt gemacht. Hurrey! Sieg! Ähm, ja... Wenn doch mal mehr Politiker zum Tanzkongress gekommen wären...
Um 11 Uhr begeben wir uns in den Capitol Club, um von Peter Eckersall über Mittel und Kompositionsprinzipien der sogenannten „New Media Dramaturgy“ aufgeklärt zu werden. Das japanische Kollektiv Dumbtype beschäftigt sich schon seit Mitte der 80er mit den Möglichkeiten, die der Einsatz Neuer Medien für die Tanz- und Theaterwelt offeriert. Eckersall promoted die Geburt dieser neuen Sparte, indem er sie vom banalen Einsatz visueller Screens, die lediglich eine oberflächliche Interaktion zwischen Zuschauer und verhandeltem Inhalt erlauben, distanziert. Vielmehr werde der Modernisierungsprozess des Tanzes vorangetrieben, die Ausdrucksmöglichkeiten werden um ein Vielfaches erweitert. Perspektiven der New Media Dramaturgy verkörpern also Statements der Moderne. Aha. Was? Wir verstehen die Botschaft nicht wirklich, aber hören weiter interessiert zu. Das Individuum auf der Suche nach Zugehörigkeit, einem Aufgehen in der unüberschaubaren globalen Gemeinschaft soll also durch die Mittel dieser neuen Dramaturgie (den Status quo vehement zu verweigern), vom ewigen Verzagen und Sich-allein-fühlen erlöst werden. Wie soll das funktionieren? - fragen wir uns und warten auf die angekündigte Darlegung der Mittel und Prinzipien dieser Offenbarung. Doch wir warten vergeblich. Dass Daten „graphisch visuell“ dargestellt werden, haben wir auch schon gewusst, und dass mediale Module helfen den Faktor Zeit lesbar zu machen hilft uns auch nicht weiter. So verlassen wir den Raum mit einer Ahnung von dem, was es auf sich hat mit diesen anscheinend so beachtenswerten neuen dramaturgischen Möglichkeiten. Naja, immerhin...
Jetzt doch Politiker auf dem Podium: In der Diskussion, die diesen Tag abschließt, sitzen Vertreter der Kulturpolitik und Vertreter der Praxis. Allesamt von festen Häusern. Es geht ja auch um Tanzstädte, die haben solche Häuser. Diskutiert wird, dass der Tanz vom Stadtmarketing instrumentalisiert wird und da liegt auch seine Chance, oder doch nicht? Die Häuser müssen mit ihren Projekten in die Stadt hinein wirken und das machen sie auch: beispielsweise Jörg Mannes mit seinem Tanzfond-Partner-Projekt mit Schülern, Sabrina Sadowska mit Stadtprojekten in Vorpommern. Wie soll man das alles nur bewerkstelligen, neben seiner „eigentlichen“ künstlerischen Arbeit? Und da wird die Forderung nach der freien Szene groß. Es herrscht plötzliche eine Klagementalität darüber vor, warum sich die freie Szene abgrenzt von den festen Häusern. Es stimmt, mit projektbasierter Arbeit, und ja „da freut man sich ja schon mal über 15 000 Euro“, ist es schwer ein Profil, ein Publikum und konstant wertvolle Arbeit zu erbringen. Dieser Aspekt wird auch genannt. Dabei bleibt es aber auch, denn es gibt auf diesem Podium keinen Vertreter der freien Szene, der sich hierzu äußern könnte, seine Beweggründe dafür anbringen könnte, warum er nicht an einem festen Haus arbeiten möchte oder sich dort jedenfalls nicht dauerhaft angliedern möchte. Darum geht es ja aber anscheinend dann auch nicht. Noch mehr Forderungen nach mehr und gesellschaftsrelevantem Tanzjournalismus und nach mehr und besserer Pädagogik wird groß. Mehr Unterstützung, mehr Geld, mehr Politik wird gefordert, um ein Identitätsgefühl der Stadt und des Publikums mit dem Theater zu erreichen. Ach je, braucht es also die freie Szene als Erfüller der „sozialen“ Arbeitsbereiche der festen Häuser, damit dort weiter an der Kunst gearbeitet werden kann?
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