Vom Augustusplatz, 125 m ü.M., den Himalaya im Visier

„Dreimal genial“ mit George Balanchine, Glen Tetley und Kenneth MacMillan

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Leipzig, 17/03/2006

Mit ihrem neuen Chef als Sherpa hat sich die Seilschaft der Leipziger Tänzer auf den Aufstieg zum Himalaya des Balletts begeben. „Dreimal genial“ verheißt Chalmers erstes eigenverantwortliches Premierenprogramm selbstbewusst. Die Stationen dieser ersten Klettertour sind George Balanchines „Mozartiana“, Glen Tetleys „Pierrot lunaire“ und Kenneth MacMillans „Elite Syncopations“.

Schwer vorstellbar, dass Balanchine selbst seine „Mozartiana“ von 1933 für genial gehalten hätte. Entstanden für seine kurzlebigen Ballets 1933 (deren Hauptwerk Brecht/Weills „Die sieben Todsünden“ waren), stellten sie, choreografiert zu Tschaikowskys Suite Nr. 4, nur eine Petitesse dar. Und gerieten rasch wieder in Vergessenheit – bis er mit ihnen 1981 das New Yorker Tschaikowsky-Festival eröffnete, in geänderter Reihenfolge der Sätze und vollkommen neu choreografiert für eine kleine Truppe von Schülerinnen der School of American Ballet plus drei Etoiles vom New York City Ballet. Quasi als Hors d‘oeuvre des darauffolgenden lukullischen Festmahls (mit Tschaikowskys „Pathétique“ als Hauptgang).

Mit Mozart tat sich Balanchine Zeit seines Lebens schwer – sehr im Gegensatz zu seiner großen Liebe für Tschaikowsky. Und so waren die „Mozartiana“ des Neunundzwanzigjährigen zu Tschaikowskys Orchesterbearbeitung von vier Mozart-Piecen tatsächlich seine erste genuine Mozart-Ballettchoreografie. Nicht entfernt an „Caracole“ von 1952 heranreichend, aus der dann das funkenstiebende „Divertimento # 15“ hervorging. Für mich ist allerdings Balanchines „Symphonie concertante“ zu KV 364 aus dem Jahr 1947 das schönste aller seiner Mozart-Ballette. Wenn sich Chalmer für „Mozartiana“ als Auftakt entschied, dann wohl, weil er damit einen noch relativ simpel choreografierten Balanchine als deutsche Erstaufführung ankündigen konnte.

Angemessen dem technischen Standard der Leipziger Tänzer, wurde sie von Maiko Oishi mit lächelndem Jungmädchencharme wie eine neu entworfene Visitenkarte des Leipziger Balletts präsentiert, artig akkompagniert von Jean-Sébastien Colau und Rémy Fischer (der ganz als Donnerblitzbub Amadé) und den zweimal vier Jungdamen aus der Ballettschule. Und wer beim „Ave Verum Corpus“ als Orchesterbearbeitung der Lisztschen Klavierfassung der originalen Mozart-Motette Bauchgrimmen verspürte, tröstete sich mit dem spezifischen Leipziger Schmankerl, dass Mozart die kleine Gigue für Klavier, KV 174, von Tschaikowsky zu einer brillanten Kanonade aufgemotzt, 1789 ins Stammbuch des Leipziger Organisten Engel schrieb.

Und Glen Tetleys „Pierrot lunaire“ sodann – genial? Würde ich eher dem Schönbergschen Zyklus der dreimal sieben Melodramen und ihren abenteuerlichen Exkursen der Erkundung immer gewagterer instrumentaler Eskapaden attestieren. Als choreografisches Debütwerk des bereits Sechsunddreißigjährigen erregte der Commedia-dell‘arte-Dreier bei seiner amerikanischen Premiere 1962 ob seiner cleveren Synthese aus Modern Dance, Klassik und Pantomime erhebliches Aufsehen, die ihm rasch den Weg ins internationale Repertoire gebahnt und sich jetzt auch in Leipzig wieder bewährt hat. Hier insbesondere Giovanni Di Palma als ein ebenbürtiger Pierrot-Novize in der Bruderschaft der Christopher Bruce, Niels Kehlet und Egon Madsen – sozusagen der Zwillingsbruder des Stuttgarter Marijn Rademaker, ein Nachtschwärmer aus romantischem Geist (sozusagen ein Cousin von Pinocchio). Als Columbine bringt Kiyoko Kimura ihre langjährigen Erfahrungen als „Mamma mia“ ein, die weiß, wo‘s bei den italienischen Mafiosi langgeht, mögen sie sich noch so machoistisch gebärden wie der Brighella von Jean-Sébatien Colau.

Und zum publikumsumjubelten Finale nach langer Pause wieder mal MacMillans „Elite Syncopations“, entstanden 1974 auf dem Höhepunkt der von Scott Joplin angeheizten Ragtime-Welle. Die Leipziger als Music-Hall-Schwoofer in Ian Spurlings buntscheckig-überkandidelten Trikots, direkt importiert von der Brighton Pier. Und von den Augustusplätzlern mit Karacho interpretiert als eine Art Ehrenrettung für die kürzliche Blamage von Dreilinden. Doch genial? Lieber wäre mir jedenfalls gewesen, Chalmer hätte ein Hip-Hop-Ballett bei einem dieser Head Spinner der Leipziger Szene 2006 in Auftrag gegeben. Der Himalaya mit den genialen Spitzen von Petipas Schatten-Bajaderen, Balanchines „Agon“ und Forsythes „Limbs Theorem“ derzeit noch in weiter Ferne. Aber der Aufstieg hat ja gerade erst begonnen!

 

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