Felix Ruckert

„Betwixt and Between - Tito in Indien“

Hamburg, 11/06/2007

Immer wieder eine quälende Frage: Lese ich das Programmheft, die Info-Blätter durch, bevor ich mir die Aufführung ansehe oder danach? Gehe ich unbelastet, quasi naiv in die Vorstellung oder präpariert, um Zusammenhänge besser zu durchschauen? Meist erschöpfen sich die Texte in PR-Superlativen (seht her, wie toll mein/sein Werk ist), oder versteigen sich zu verschwurbelten Aussagen wie etwa bei Felix Ruckerts neuer Produktion „Betwixt and Between“ (laut Lexikon: Weder das Eine noch das Andere in der Mitte) „Tito in Indien“: Ruckerts Arbeit zielt ebenso wenig auf Bilder und Botschaften, die gelesen werden müssen, wie es zielorientiert auf die Produktion von Bedeutung zusteuert (AHA!). Stattdessen soll sich der Zuschauer auf Relationen, Dynamik und Körperlichkeit einlassen. Damit ist Ruckert fein raus: Wer sein neues Stück unergiebig, langweilig, uninspiriert findet, hat sich halt nicht genügend darauf eingelassen.

Das Neue, Andere, Dritte, jenseits der Bewegungen, wie es Ruckert anstrebt, also gewissermaßen der Sprung zur Metaebene, gelingt mangels schöpferischer Masse nicht. Zum Einstieg präsentiert Ruckert sein neunköpfiges Ensemble, gemischt aus europäischen und asiatischen Mitgliedern (sie werden im Text nicht einzeln vorgestellt), wie Silhouetten vor rotem Hintergrund. Sie zelebrieren einen Stampfrhythmus, der sich aus einem kurzen Motiv entwickelt, in Anlehnung an indische Tanztechniken mittels nackter Fußfläche, Ferse und Ballen im leichten Demi-plié. Am Ende lässt er seine Tänzer/innen nach einem besinnlichen, instrumentalen Zwischenspiel in einen Lärmausbruch explodieren (wohl um die Zuschauer im nur halb besetzten Saal aufzuwecken).

Zwischen diesen eindrucksvollen Polen platziert Ruckert Abschnitte, in denen er aus kleinem Beginn, etwa im Stand mit Perkussion auf armlangen Holzstäben oder durch Klatschen, raumgreifende Entwicklungen entfaltet. Das wiederholt sich ähnlich, wird vorhersehbar. Soli setzen Akzente, wenn auch meist nur schwache, denen eine improvisatorische Beliebigkeit anhaftet. Bis auf ein Solo, ausgeführt von einer grazilen Inderin, die souverän Bewegungen aus dem indischen Tanzrepertoire wie die seitliche Verschiebung des Kopfes, das rhythmische Stampfen, die subtile Gestik der Arme, Hände und Finger in lockerer Spannung einbindet. Als sie später synchron mit einer schönen europäischen Tänzerin eine weitere Variation tanzt, wirkt die Kollegin trotz ihrer Exaktheit fast plump neben ihr, die ein sich ruhendes Charisma ausstrahlt.

Elektronische Musikstränge schieben sich hinein und verschwinden wieder, scheinbar ohne Bezug zum weitgehend einfallslosen Geschehen. Selten habe ich bei einer Vorstellung so oft auf die Uhr geschaut. Die Zeit bleibt stehen, leider nicht im Sinn des Meditativen, vielmehr schlicht aus Langweile. Einige Reihen vor mir gähnt sich eine Mitarbeiterin von Kampnagel fast die Seele aus dem Leib. Bis an die Grenze zum Dilettantismus treibt es den hilflosen Ruckert, wenn er bei Soli mehr herumlaufen lässt als dem Körper (Schlachtfeld und Spielwiese, nennt er ihn) fantasievolles Futter zu geben, um nur irgendwie die Zeit zu füllen (etwa 75 Minuten). Ein Flop im Tito-Projekt „Der Dritte Weg“ auf Kampnagel, mit dem sich die Intendatin Gordana Vnuk nach sechs Jahren aus Hamburg verabschiedet. Der Reinfall wird in Koproduktion mit Kampnagel, Eurokaz Zagreb und National Performance Netz aus Mitteln des Tanzplans Deutschland der Kulturstiftung des Bundes gefördert. Vergeudetes Geld.

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