Abschied mit Sehnsucht
Dirk Neumann hört als Ballettdirektor am Staatstheater Cottbus auf.
Das Cottbuser Ballett imponiert dennoch mit „Welcome, Mr. Gershwin“
Mit drei Uraufführungen punktet in dieser Spielzeit das Ballett am Staatstheater Cottbus. Wie man das mit nur acht Tänzern und neben dem emsigen Einsatz im Musiktheater schafft, nötigt Respekt ab. Nach dem Erfolg eines Tango-Abends letzte Saison, mit ständig ausverkauften Vorstellungen, eröffnete Ballettchef Dirk Neumann das Theaterjahr wiederum mit einer showhaften Produktion in der Kammerbühne. Dass die Kompanie zur Hälfte neu besetzt ist und auch der amerikanische Choreograf Tom Fletcher sein Debüt in Cottbus gibt, erhöht den Reiz. „Welcome, Mr. Gershwin“, der Titel seiner Revue, hängt in Leuchtlettern hoch über der Szene, die den belebten Platz in einer Großstadt der 1930er darstellt, mit Eingang zur Subway, Café, Grand Theatre und Sexclub dicht bei dicht. Nacheinander treffen die Figuren ein: Dandy im Anzug, Rad fahrender Zeitungsjunge mit Schiebermütze, scheue Kellnerin, aparte Friseuse, Theaterdiva mit Sekretärin, Strahlemann-Matrose, oben auf einem Gerüst das Tanzgirl am Schminktisch und ihr Verehrer, der Türsteher. Gershwin begrüßt sie alle mit der Ouvertüre zu einer Musical Comedy.
Swing, Ragtime, Blues, Balladen, Charleston folgen und verbreiten in unterschiedlichen Aufnahmen das Flair jener Zeit, als Amerika boomte und im Jazzrausch taumelte. Heutige Größen wie Elton John, Sting, Jon Bon Jovi singen die synkopenreichen Songs, Tommy Dorsey, Yehudi Menuhin und einige Mal historisch der Meister höchstselbst am Klavier spielen sie. Fletcher sucht der geschmeidigen, verspielten, emotionalen, bisweilen explodierenden Musik durch kleine Episoden zu begegnen. Da animiert der Matrose die Friseuse zum Tanzen und muss den argwöhnischen Zeitungsjungen besänftigen. Da sucht die Kellnerin zur Walzer-Adaption „By Strauss“ vergeblich beim Dandy zu landen, dem es seinerseits die Theaterdiva angetan hat. Matrose und Tanzgirl nähern sich einander zum Ärger des eifersüchtigen Türstehers, doch alles ist noch offen, als sich die Figuren mit Männerartistik und Girlreihe in die Pause entfernen. Der Mangel jener Produktion liegt indes zu Tage: Die Charaktere sind nicht stark genug geformt, die Episoden wenig ausgearbeitet und kaum miteinander verflochten.
Allzu sehr setzt der Choreograf auf vordergründigen, wiewohl anspruchsvollen Tanz, oft in Frontalstaffelung, verschieden lediglich durch die Anzahl der Akteure. Im zweiten Teil bessert sich das. Nach drei Auftakt-Beiträgen, in denen sich Männer respektive Frauen gesondert präsentieren, alle zusammen dann ihr rasch erlerntes Repertoire an Stepp-Schritten vorführen, modelliert Fletcher drei weitere Titel lang aus, was er zuvor angedeutet hat. In rotem Licht lockt oben auf ihrem Drehhocker das Tanzgirl den Matrosen zu sich. Was dort auf engem Raum beginnt, ein Liebesduett, setzt sich unten auf der Szene fort, kulminiert in einem fulminanten Glückssolo des Jungen und läuft dann weiter, bis eine rote Lampe das Mädchen zum Auftritt ruft. Als der Türsteher am Spiegel des Mädchens das Foto seines Konkurrenten entdeckt, kommt es zum Streit, aus dem das Tanzgirl flieht. Und auch die unerwidert verliebte Kellnerin zeigt Haltung: Hut, Schal und Stock des Dandys wirft sie nach einem letzten sehnsüchtigen Solo in die Mülltonne. „’s Wonderful“ machen ihr die drei anderen Männer in Hebungen und Transporten Mut.
Alle zusammen verabschieden sich vom Zuschauer, aus der amerikanischen Metropole und von Gershwin mit dessen grandiosem Fußwipper „I got Rhythm“. Die Tänzer laufen zu Höchstform auf, weil der Choreograf sie hier mit raumfüllenden Formen vom Kreis bis zum Keil versorgt, die Trickkiste an effektvollen Schritten weit öffnet, Liegestütz-Übersprünge für die Herren und sogar launige Schuhplattler einbaut. Fast vergessen ist da, den Interpreten sei Dank, ihre simple Zille-Personnage auf amerikanisch, im Flachrelief und ohne jeden sozialkritischen Akzent. Sofia Kapourani gestaltet mit Schick, einem Schuss Carmen, dann berührender Gefühlstiefe das Tanzgirl; Marek Baláz als quicklebendiger, stilsicherer Matrose ist der überragende Tänzer eines unterhaltsamen Abends, dem als Kinderproduktion „Die kleine Meerjungfrau“, später „Komm, süßer Tod“ nachfolgen werden.
Wieder 11., 12., 26.10., Kartentelefon 01803/44 03 44, online unter service@staatstheater-cottbus.de
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