Morbide Lust an der Romantik
„Zum Sterben zu schön” von Jo Strømgren als Uraufführung mit dem Ballett der Oper Graz
Die Jo Strømgren Kompani mit „The Hospital“
Sie leben nicht länger in einem Puppenheim und laufen nicht ins Freie, um auf einer Brücke ihre stummen Frustrationsschreie auszustoßen! Sondern sie sind drei emanzipierte attraktive junge Norwegerinnen, und ihr Erzeuger heißt nicht etwa Henrik Ibsen oder Edvard Munch (und auch nicht Anton Tschechow). Und sie brabbeln unentwegt vor sich hin oder miteinander – allerdings in einer Nonsense-Sprache, so dass man nicht versteht, ob sie sich nach „Oslo, Oslo!“ sehnen wie ihre russischen Schwestern aus der Provinz „Nach Moskau, Moskau!“. Irgendwo im Abseits jedenfalls scheint auch das Hospital zu liegen, in dem sie als Krankenschwestern angestellt sind. Ihr Problem ist, dass es dort keine Patienten gibt. Und so starren sie jedes Mal in die Luft, wenn dort ein Flugzeug vorüber donnert, insgeheim wohl darauf hoffend, dass es vielleicht abstürzt, so dass sie die Verletzten betreuen könnten. Das geschieht indessen nicht, und so machen sie sich daran, sich selbst Wunden beizubringen, um sie professionell versorgen zu können.
Vielleicht muss man ja Wohlstands-Norweger sein, um auf eine solche Idee zu kommen. Jo Strømgren jedenfalls scheint einer von ihnen zu sein, Jahrgang 1970, auch auf dem Kontinent inzwischen gern eingeladener moderner Gastchoreograf (und ausgewiesener „Nussknacker“-Spezi), Chef seiner eigenen, in Bergen ansässigen Jo Strømgren Kompanie, mit der er jetzt bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen in der Karlskaserne zu Gast war – oder jedenfalls mit einer Tänzerinnenauswahl, bestehend aus drei Damen, die die drei Krankenschwestern in seinem einstündigen Stück „The Hospital“ tanzten? Eher muss man wohl sagen: agierten, denn außer ihren gelegentlichen Hüftrotationen und markierten tänzerischen Motionen fanden sie sich nur zwei- oder dreimal zusammen zu uniformen choreografischen Arrangements.
Im Übrigen waren sie außer mit ihren nonsense-sprachlichen Dialogen ausgiebig mit den Trockenübungen ihrer Profession beschäftigt – sozusagen im ständigen Notstandseinsatz nach den von Strømgren vorgegebenen Praktiken. Der, das muss man zugeben, eine lebhafte Fantasie hat, die jeder denkbaren Situation gerecht wird. Und von drei appetitlichen jungen Damen so liebevoll umsorgt zu werden, das könnte schon manchen Ludwigsburger veranlassen, bei der DAK einen Auslands-Krankenschein zu beantragen für eine Behandlung seines Leidens in einem norwegischen Second Life Hospital. Wobei er dann hinterher in seinen Entlassungspapieren nachlesen kann, dass er Patient eines medizinischen Experiments als „apokalyptische Abbildung von Gesellschaft“ war. Falls Mr. Strømgren danach erwägen sollte, seinen Tanztheater-Einakter zu einem Doppelabend zu ergänzen, könnte er vielleicht auf eine Besetzung mit drei Toilettenfrauen zurückgreifen – oder wenn er gar von einer Norwegen-Trilogie träumt, damit auch die Männer seiner Kompanie beschäftigt sind, auf eine Seilschaft von drei Lokführern mit TGV-Erfahrung (die brächten dann auch etwas Tempo in die Produktion).
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