Strandleben, Sternenhimmel und Slapstick
Dreimal Jerome Robbins an einem Abend im Palais Garnier
Frederick Ashtons „La Fille mal gardée“ an der Pariser Oper
Wer würde diesem Stück sein Alter ansehen? „La Fille mal gardée“, heute trotz seiner französischen Ursprünge vor allem in der Version des britischen Choreografen Frederick Ashton bekannt, basiert auf einem der ältesten Ballette des Repertoires: Jean Daubervals „Le Ballet de la paille ou Il n’est qu’un pas du mal au bien“. Das Stück, das am 1. Juli 1789 nur wenige Tage vor dem Ausbruch der französischen Revolution in Bordeaux uraufgeführt wurde, war eines der ersten Handlungsballette, die das Schicksal einfacher Menschen anstelle von adligen Helden oder mythologischen Figuren darstellten. Dennoch handelte es sich nicht um ein Revolutionsballett: Daubervals wohlhabende Bauern unterschieden sich in ihrem Verhalten kaum von Adligen und er sah davon ab, Herrschaftsverhältnisse offen zu thematisieren.
Allerdings führte der Themenwechsel zu wichtigen stilistischen Entwicklungen: die Pantomime wurde betont und stilisierte Bewegungen wichen einem natürlicheren Tanzstil mit realistischerer Mimik und Gestik der Tänzer. Diese Neuerungen, die den Einfluss von Daubervals Lehrer Jean-Georges Noverre verraten, ebneten den Weg für spätere Handlungsballette wie etwa den ersten Akt von „Giselle“. Das Stück, das später unter dem Namen „La Fille mal gardée“ von mehreren Choreografen aufgegriffen wurde, erfreute sich seit seiner Kreation fast ununterbrochener Beliebtheit. 1960 schuf Frederick Ashton für das Londoner Royal Ballet seine erfolgreiche Choreografie der Geschichte der ungehorsamen Tochter, die nun am Ende dieser Spielzeit erstmals an der Pariser Oper aufgeführt wurde.
Vom ersten Tanz der Hühner bis zur fröhlichen Wiedervereinigung des enttäuschten Alain mit seinem Regenschirm sprühte die Kompanie an diesem 218. Jahrestag des Sturms auf die Bastille vor Lebensfreude und Leichtigkeit, die die wenig originelle Handlung und den Mangel an Erfahrung mit Ashtons Stil fast vergessen machten. Dies lag unter anderem an der exzellenten Besetzung der Hauptrollen: sowohl Simon Valastros Alain als auch Stéphane Phavorin als Witwe Simone bewiesen ausgezeichnetes komisches Talent. Valastro gab seinem Alain ein reiches Mienenspiel und meisterte seinen roten Regenschirm mit ähnlicher Virtuosität wie Phavorin, zur Feier des Tages mit Trikolore im Haar und am Strumpfband, seine Holzschuhe. Vor dem Hintergrund grotesker Charaktere – von Alains dickleibigem Vater zum hasenzähnigen Notar – und Szenen – wie beispielsweise Alains Flug auf dem Regenschirm – erzählte das Hauptpaar mit jugendlichem Charme die Geschichte einer wahren Liebe.
Es war eine erstklassige Wahl der Direktion, Svetlana Lunkina als Gast vom Bolschoitheater einzuladen. Ihre grazile Lise verfügte nicht nur über eine solide Technik, sondern auch über jene Hingabe an ihre Rolle, die das Publikum auch dann überzeugt, wenn Tänzer wie hier nicht ganz gemäß ihrem Rollenfach besetzt werden. Zudem harmonierte sie perfekt mit Mathieu Ganios eleganten und gleichzeitig impulsiven Colas. Zusammen ähneln die beiden eher einem romantischen Liebespaar als zwei schlauen jungen Bauern, die sich mit Trotz und Tricks gegen den Willen einer schrulligen Mutter behaupten. Vom ersten Erkennen aus der Ferne herrschte zwischen den beiden Tänzern ein gegenseitiges Einvernehmen, das von den burlesken Ereignissen um sie herum – inklusive dem Auftreten des unbedarften Rivalen Alain – kaum auch nur berührt wurde. Beide waren den technischen und schauspielerischen Schwierigkeiten des Stückes durchaus gewachsen: Ganio beeindruckt vor allem durch seine gewohnte Leichtigkeit, aber auch durch eine erhöhte Sicherheit in seiner schauspielerischen Interpretation, während Lunkina besonders im sogenannten Fanny-Elssler-Pas-de-deux und in den leitmotivischen Läufen auf Spitze ihr Talent beweist. Unwiderstehlich ist auch das Mienenspiel der beiden in der Szene, in der Lise sich ihre Zukunft als verheiratete Frau vorstellt und dabei von Colas überrascht wird.
Auch das Orchester zeigte sich in der Interpretation von John Lanchberys Arrangement von Herolds Musik unter der exzellenten Direktion von Barry Wordsworth, Gastdirigent aus dem Royal Opera House, in sehr guter Form. So wurde das Stück vom an diesem Festtag im Palais Garnier versammelten Publikum mit begeistertem Beifall begrüßt, der auf eine baldige Wiederaufnahme dieses gelungenen Ergebnisses frankobritannischer Kooperation hoffen lässt.
Besuchte Vorstellung: 14.07.07
Link: www.operadeparis.fr
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