Ballett-Nippes aus der Wedgwood-Manufaktur
Frederick Ashtons „Sylvia“ beim Staatsballett Berlin
Nymphe von immenser Strahlkraft
Wenn sich im Finale alle zum gestaffelten Freudenbild formieren, Götter, Musen, die Paare des Frühlings und des Sommers, dann feiern sie nicht nur die glückliche Vereinigung zweier Liebender, sondern auch den gelungenen Parforceritt durch eine an Finessen reiche Choreografie. Dem Zuschauer beschert sie ein zweieinhalbstündiges Fest erlesenen Tanzes. Erdacht hat es vor 55 Jahren Frederick Ashton, einer der Mitbegründer des englischen Balletts und seines weich noblen Stils. Die 1876 zu Paris uraufgeführte Liebesgeschichte zwischen der Nymphe Sylvia und dem Hirten Aminta, damals eines jener Dutzendwerke des sterbenden romantischen Balletts, geriet unter seiner Hand zu einem eleganten Pastorale, das in London lange den Spielplan bereicherte und 2004, zu Ashtons 100. Geburtstag, reanimiert wurde. Léo Delibes’ melodiensprühende, handlungtragende Musik, schon damals bewundert, und Ashtons kongeniale Formfindung mit ihren vertrackt flinken Schrittfolgen und den vielen Körperwendungen machen sein Schäferspiel „Sylvia“ zu einem Klassiker mit Zukunft.
Tief in die Vergangenheit greift der schlichte Inhalt. Der Hirte Aminta ist in Sylvia verliebt, die als Gefolgsfrau der Jagdgöttin Diana Keuschheit lebt. Als Aminta der Nymphe auflauert, erschießt sie ihn versehentlich und wird zur Strafe von Eros’ Pfeil getroffen. In der Verkleidung eines Zauberers erweckt Eros den Toten und weist ihm den Weg zu Sylvia. Die wurde inzwischen vom bösen Jäger Orion entführt, kann dem begehrlichen Bedränger indes durch List entkommen. Eros selbst führt sie in einer Barke dem Hirten zu, und auch Diana, einst dem Jüngling Endymion verfallen, gibt den Liebenden letztlich ihren Segen. Über drei Akte erstreckt sich das anmutige Geplänkel, dem die Brüder Robin und Christopher Ironside als Ausstatter einen mythischen Rahmen gegeben haben.
Im nachtblauen Hain des 1. Akts treffen sie vorm Eros-Heiligtum zusammen: der Lauscher Aminta, seine silbrig gerüstete Amazone und ihre Begleiterinnen, umgeben von Najaden, Dryaden, Sylphen, Faunen, und der zudringliche Orion. Edel gewandete Bauernpaare, die Jungen mit Rechen, Spaten, Sensen, die Mädchen mit Schubkarren voller Obst, bilden den irdischen Gegenpol. Orions tropisch umrankte Grotte wird im 2. Akt Schauplatz von Sylvias Täuschungsmanöver, wenn sie den Entführer und seine Sklaven in den Weinrausch treibt. Das Goldgelb um Dianas Pavillon schließlich gibt dem 3. Akt den Sonnenglanz eines guten Endes. Peter Farmer hat bei Bühnenbild und Kostüm, mit vornehm ornamentierter Griechentunika als Grundmodell, feinsinnig ergänzt, was vom Original nicht überliefert ist.
Vor diesem Problem stand auch der Rekonstrukteur Christopher Newton. Aus seiner Erinnerung als langjähriger Assistent Ashtons und mit der Hilfe zweier Überlebender der Uraufführung entwarf er die Choreografie. Dass sich die Akte zu einem attraktiven Ganzen aus einem Atem fügen, ist ebenso ihm wie den Interpreten des Staatsballetts zu danken. An den fordernden, so transparenten Raumrastern, der kniffligen Fußflinkheit haben sie offenbar ihr Vergnügen. Wie Ashton komponiert, wie er Solisten und Gruppe verwebt, wie leichthin, organisch, musikalisch seine Tanzfolgen fließen, das offenbart den exzellenten Stilisten.
All seine Aufmerksamkeit gilt Sylvia: Sie lässt er kaum je von der Szene und pflastert ihren Weg von der militanten Jungfrau über die Liebesleidende und die raffiniert Täuschende zur glücklichen Braut mit einem beachtlichen Pensum an Variationen. Polina Semionova stattet die Rolle mit Liebreiz und einem Höchstmaß an strahlender Linie aus. Vladimir Malakhov als Aminta ist ein souverän betreuender Partner, Ibrahim Önal ein kraftstrotzender Orion von immenser Sprungkraft. Tanzt in anderen Choreografien der Eros auf Spitze, so darf hier Rainer Krenstetter, tänzerisch weniger üppig bedacht, ganz edler Grieche sein. Benjamin Pope und das Orchester der Deutschen Oper lassen dem Tanz Delibes Partitur in Feinklang entgegenranken.
Wieder 4., 14., 22., 25., 30.5., Kartentelefon 20 35 45 55
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