Zauberhafter Orient
Mit Evgenia Dolmatovas als neue Gamzatti und zahlreichen Debuts brillierte das Bayerische Staatsballett abermals in „La Bayadère“
Ulyana Lopatkina mit den Moskauer Gästen Maria Alexandrova und Nikolai Tsiskaridze
Die 1941 von Vladimir Ponomarev und Wachtang Tschabukiani mit Tänzen von Konstantin Sergejev und Nikolai Zubovski neu inszenierte Version des Petipa-Balletts von 1877 ist die touneetaugliche, mit knapp drei Stunden beträchtlich kürzere als die von Sergei Wicharev im Jahr 2002 wissenschaftlich rekonstruierte. Sie ist keineswegs obsolet, sondern mit ihren reichen Tänzen, von deren Anzahl und Abfolge sich die Münchner Fassung von 1998 in einigen Punkten plausibel unterscheidet, absolut erhaltenswert. Ihr Bühnenbild ist naturalistischer und zeigt erst einen Tempel im tropischen Urwald Indiens, dann die detaillierte Architektur eines Palastes, die allerdings ungünstig die Bühnenfläche schneidet.
Es beginnt mit Solors Jagd auf einen Tiger und seinem Auftrag an den Fakir Magdaveya, ein Treffen mit Nikija zu arrangieren. Allmählich nimmt die Handlung, wie wir sie kennen, Fahrt auf. Nikijas Pas de deux mit Solor ist textreicher als in München. Das liegt wohl sowohl am größeren Wissen um die Tradition als auch an der Interpretation von Ulyana Lopatkina, die hier mit ihrer großartigen Bühnenpräsenz in gedanklich wie tänzerisch vollendeter Gestaltung in einer ihrer besten Rollen zu erleben ist. Der St. Petersburger Primaballerina assoluta waren an diesem Abend die Top-Stars des Moskauer Bolschoi Balletts als Gäste zur Seite gestellt. Allerdings ist im Palast des Radscha die in München dessen Tochter Gamzatti zugeordnete Auftrittsvariation hier noch Nikija vorbehalten, und der Streit der beiden Frauen bleibt in der stilisierten Form, statt dass sie sich am Boden balgen.
Im Defilee glänzte der schon sehr lange tote Tiger als typische St. Petersburger Requisite weit weniger als anschließend Xenia Ostreikowskaya und Yana Selina im Jampe-Tanz oder das Quartett der Bayadèren; der indische Tanz mit Ekaterina Petina, Islom Baimuradov und Anton Lukvokin als führendem Trio realisierte mit seinem feurigen Temperament die Choreografie präzise. Im Tanz des Goldenen Idols, der in dieser Fassung bereits im zweiten Akt platziert ist, präsentierte sich Vladimir Shkliarov einmal mehr ganz souverän. Den Grand Pas Classique tanzten die Moskauer Gäste, doch überraschenderweise enttäuschte Nikolai Tsiskaridze mit wenig gestreckten Beinen und schludrigen Landungen. Maria Alexandrova aber tanzte sprunggewaltig und hochelegant genau auf die Musik und erntete für ihre beiden Variationen einen Applaus, wie ihn die St. Petersburger für Moskowiter selten geben. Und dennoch zog Ulyana Lopatkina mit Nikijas Auftreten augenblicklich die Aufmerksamkeit auf sich. Vom erhaben-traurigen Adagio wechselte sie grandios in die freudige Dynamik und die Dramatik ihres Todes, und alles blieb gebunden vom Bewusstsein der von ihr ideal beherrschten Linie.
Im Schattenakt mit 32 Bayadèren beeindruckte wieder die Geschlossenheit des auch figürlich einheitlich großen und schlanken weiblichen Corps de ballet. Die Variationen der kleinen Schatten waren mit Tatjana Tkachenko, Olessya Novikova und Xenia Ostreikovskaya vorzüglich besetzt, und rhythmisches Klatschen begleitete die erste schon während (!) ihrer Ausführung. Dann: Welche Balancen in Nikijas Schleiertanz, welche Sammlung! Die Beine der Lopatkina zu versichern – vielleicht die schönsten in der Ballettwelt – muss wohl ein Vermögen kosten. Ihre Nikija ist durch feinste Phrasierungen jeden Moment reich an Ausdruck. Da auch Nikolai Tsiskaridze an Virtuosität beträchtlich zulegte und das Stück dann ohne Auflösung der Geschichte abbrach, wollte nach seinen wirbelnden Touren der Jubel kein Ende nehmen. Der Ansturm der Besucher auf diese Vorstellung, die mehrfach hätte verkauft werden können, galt aber wohl mit größtem Recht der künstlerischen Kostbarkeit und der Persönlichkeit Uljana Lopatkinas.
Besprochene Vorstellung: 18. April 2007
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