„Himmlisch weiß“ präsentiert sich das Dresden SemperOper Ballett

Punktsieg des brillanten Schabernacks

Dresden, 13/02/2007

Wieder so ein eingängiger Titel: „Himmlisch weiß“. Dresdens neuer Ballettchef Aaron Watkin subsummiert in dieser dritten Premiere seiner ersten Saison drei Werke aus dem neueren Hausrepertoire, die es an einem Abend noch nicht gab. Alle haben ihren geschichtlichen Stellenwert und machen deutlich, wie sich innerhalb von acht Dezennien die Auffassung vom „weißen“ Ballett verändert hat. Der Eingeweihte mag das goutieren. Für den „gemeinen“ Zuschauer bleibt der Ansatz problematisch, legt sich die Programmdramaturgie doch enge Grenzen an, zumal mehrteilige Abende den Zuschauer ohnehin schwerer erreichen als Handlungsballette. „Himmlisch weiß“ dürfte dieses Schicksal teilen.

Fast genau ein Jahrhundert zählt Michail Fokins „Chopiniana“ in jener 1908 uraufgeführten Fassung, die sie weltweit zum letzten Aufseufzer des spätromantischen Balletts werden ließ. Ungezählte Versionen „nach dem Original“ kursieren zwischen Paris, St. Petersburg und Havanna. Als Neueinstudierung präsentiert sich nun, was Yelena Evteeva, Pädagogin in der Petersburger Vaganova Akademie, und Watkin als „choreografische Bearbeitung“ verantworten. Welchen Schritt, welche Körperhaltung oder Allüre sie gegenüber der „choreografischen Rekonstruktion“ verbessert haben, die Watkins Vorgänger Vladimir Derevianko erst im Juli 2005 für eine dreigeteilte Produktion vorstellte, mag dahinstehen. Seltsam duftlos, sachlich, blutarm wirkt jedenfalls, was vor blauweiß changierender Leinwand über die Bühne der Semperoper geht. Jener gleichbleibende, balachinesk getönte Hintergrund im Verein mit einer unveränderlich hellen Lichtstimmung rückt die Choreografie in die Nähe eines bloßen Divertissements und entkleidet sie allen nächtlich romantischen Zaubers. Poesie hauchen der siebenteiligen Folge tänzerisch zelebrierter Walzer und Mazurken nach Chopin die drei Solistinnen Olga Melnikova, Britt Juleen und, so sicher, so organisch fließend, Natalia Sologub ein. Atemvoll servieren die 20 Gruppendamen ihre prismatischen Raster mit dem jugendstilhaft bewegten Körpergerank.

Dass „Chopiniana“ in Dereviankos „Ballets Russes“-Hommage zwischen den turbulenten Einaktern „Petruschka“ und „Feuervogel“ als Juwel der Verinnerlichung mehr stillen Glanz entfalten konnte, macht die neue Konstellation bei Watkin deutlich. Glen Tetleys choreografischer Wurf „Voluntaries“, mit dem der Amerikaner 1973 seiner Bestürzung über Crankos plötzlichen Tod Ausdruck gab, setzt zwar stilistisch Kontraste zu Fokins Formsprache; emotional tut er das nicht. Vor pointillistisch hingetupftem Lebenskreis als Rückwanddekoration und mit gleichermaßen applizierten weißen Ganztrikots führen ein Solopaar und ein Trio aus zwei Männern, einer Dame die Gruppe auf dem Weg in die Transzendenz an. In gestemmten, gewirbelten Flugfiguren, stetig wiederkehrenden variierenden Motiven, streben die Damen himmelwärts, als wären sie die Seelen Verstorbener.

Poulencs Konzert für Orgel, Streichorchester und Pauken mit sanften Passagen und schroffen Orgeleinbrüchen konturiert das Ringen um Fassung im Unfassbaren. Wieder setzen die Frauen Maßstäbe: die blonde Olga Melnikova als Hauptsolistin und die brünette Bridget Breiner mit perfekter Linie und spannungsreichem Gestus. Ivan Korneev, Ex-Dresden-Tänzer nunmehr als Gast aus Wiesbaden, weiß seine Partnerin muskulös zu hantieren, Dmitry Semionov, imposant hochgewachsener Neuzugang aus Peterburg, besticht durch harmonische Koordination. Trotz einiger Premierenpatzer bei den Solisten und Ungleichheiten in der Gruppe eine würdige Reverenz an den Ende Januar verstorbenen Glen Tetley, dem die Aufführungsserie gewidmet ist, einen der Meisterchoreografen des 20. Jahrhunderts.

Punktsieger und Publikumsliebling des Abends ist Jirí Kylián, wie er das Hehre amüsant grotesk bricht. Seine 1986 entstandenen „Sechs Tänze“ nach Ländlern aus Mozarts Feder, wunderbar luzide von der Sächsischen Staatskapelle unter Dieter Rossberg gespielt, wirken im vergeblichen Wollen und den giftigen Rankünen der zerzausten, stäubend gepuderten bäurischen Deppen so menschlich und sind dabei knifflig geschwind, fordernd plastisch zu tanzen. Elanvoll werfen sich die vier Paare, allen voran ein koboldhafter Maik Hildebrandt, und das Krinolinenquintett in den brillant erdachten Schabernack mit Hintersinn.


Wieder 15., 20.2., 4.3., Kartentelefon 0351/49 11 705

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