Abstand überwunden
Ballettabend „We will dance“ an der Semperoper in Dresden
Aaron Watkin verabschiedet sich mit seinem letzten Ballett-Abend „White Darkness“ als Ballettdirektor des Semperoper Ballett Dresden
Selbstredend hatte es großzügig Standing Ovations, als im Anschluss an die letzte Ballett-Premiere dieser Spielzeit am Samstag in der Semperoper Kulturministerin Barbara Klepsch gemeinsam mit dem Intendanten des Hauses Peter Theiler den scheidenden Ballettdirektor Aaron Watkin vor den Vorhang holte. Voll des Dankes war Barbara Klepsch und würdigte Watkins Leistung der vergangenen 17 Jahre für die Semperoper, für Dresden und darüber hinaus. Sie betonte, wie glücklich sich das Haus hat schätzen dürfen, dass es Watkin dank seines Renommees und Rufs geschafft hatte, Arbeiten großer Namen ans Haus geholt zu haben. In seiner Funktion als Kulturbotschafter hinterließe er tiefe Spuren im Haus, die noch lange wahrnehmbar blieben. Für seinen weiteren Weg mit dem National Ballet London wünschte sie ihm viel Glück.
Auch in den Rängen des leider nicht ausverkauften Hauses war die Würdigung sichtbar: Neben vielen Vertretern der Palucca-Schule, unter ihnen Rektor Jason Beechey, waren als ehemalige Mitglieder des Ensembles auch Jiří Bubeníček und Raphaël Coumes-Marquet im Publikum.
Der Abend selbst, den Barbara Klepsch enthusiastisch als grandios bezeichnete, lässt sich wohl ohne Weiteres als Abschiedsgeschenk Watkins an sich selbst lesen. Und dagegen spricht auch gar nichts. Eigentlich aber dürfte die Tatsache, dass ausgerechnet William Forsythes Klassiker „The Second Detail“ den Abend eröffnet hat, mit gemischten Gefühlen gelesen werden. So oft bereits stand diese Arbeit von 1991 auf dem Repertoire-Zettel des Hauses. An der Qualität und Langlebigkeit des Stücks gibt es bis heute nichts zu kritteln. Das hat Schmackes. Und so wird es immer bleiben. Nur ist diese Arbeit eben nicht repräsentativ für das Haus. Zum Abschied aber, man gönne es Aaron Watkin von Herzen, noch einmal diesen schmissigen White Cube auf die Bühne zu wuchten, bei dem Forsythes Leib- und Magenkomponist Thom Willems dem Publikum die spitzen, scharfkantigen Klänge um die Ohren haut, die so lange Jahre Forsythes Arbeiten (mit)geprägt haben. Es ist und bleibt einfach ein Genuss, in diesem trockenen Licht der Frage nachzuhängen, welche Farbe die Kostüme eigentlich aufweisen. Mal scheint es reines Weiß zu sein, mal gedeckt, in off-white. Wenn aber die Schatten genau richtig fallen, und das tun sie ganz gewiss, schließlich ist es Forsythe, dann meint man eine Schattierung von Mintgrün wahrnehmen zu können.
Diese Gedanken finden deshalb Raum, weil die aktuelle Interpretation des Ensembles gefällig daher kommt. Leider zu gefällig. Forsythes Dekonstruktionen sind als kantig und präzise bekannt. Genau deshalb erscheint Willems‘ schnittiger Sound hier ja so kongenial. Eigentlich. Wenn die innere Getriebenheit aber auszubleiben scheint, fehlt etwas Wesentliches.
In Sachen Sound hält auch Ori Lichtik nicht hinter dem Berg, der, ganz in Analogie zu Willems, bereits seit einigen Jahren mit seinen Kreationen beständig an der Seite der israelischen Choreografin Sharon Eyal agiert. Auch hier macht’s die Mischung: Er bringt seinen Rave-Hintergrund mit; sie den ihren aus jahrelanger Zusammenarbeit mit Ohad Naharin und der legendären Batsheva Dance Company aus Israel. Besonders bei dieser Arbeit, „Half Life“ (2017), haben beide in einen Topf geworfen, was sie beide am besten können. Und zusammengenommen ergibt das tatsächlich einen einzelnen Begriff: Puls. Während die Bühne in kompletter Dunkelheit liegt, drücken die Beats Lichtiks bereits durch den Raum und bis an die Wand. Es ist ein Wummern, ein ganz klares Muster, das bis zum Ende nur in winzigen Variationen bespielt wird. Es dauert lange, bis es einen Hauch von Licht auf der Bühne gibt und zwei Wesen äußerst mager sichtbar macht. Genau das ist es bei Sharon Eyal, die bereits mit ihrer Company mehrfach äußerst erfolgreich in Hellerau gastiert hat: Ihre Tänzerinnen und Tänzer agieren nicht als Menschen. Sie sind nicht weniger, nicht mehr als „Mensch“, aber doch immer „anders“. Lebewesen, ja. Der Begriff des Individuums funktioniert bei Eyal aber nicht.
Die zwei Wesen bleiben, wo sie sind, wiederholen gefühlt endlos eine kurze Abfolge einfacher Bewegungen. Gefühlt minutenlang, auf der Stelle, bis sich von hinten rechts, ganz langsam, wie in Zeitlupe, ein Pulk weiterer Tänzerinnen und Tänzer nach vorn schiebt. Am Ende werden es 13 „Bestandteile“ sein, die einen großen, komplexen Organismus bilden. Alles scheint Atem zu sein, biologische Existenz. Und alles ganz klar und so ruhig, dass der Kontrast zu den wummernden Beats immer stärker wirkt. Dieser Pulk, dieses Mischwesen, atmet frontal zum Publikum und ist sich dabei selbst genug. „Es“ existiert einfach. Die einzigen wahrnehmbaren Veränderungen, wenn man sie als solche bezeichnen darf, werden dann sichtbar, wenn sich dieser Pulk wiederholt in seine Bestandteile auflöst, sich vereinzelt, aber gleichzeitig damit nur seine Puzzleteile kurz loslässt, um sie dann doch wieder zusammenzubringen.
Das alles hat eine Monotonie, wie man sie in Ansätzen durchaus von Sharon Eyal kennt. Hier aber treibt sie es auf die Spitze. Es braucht schon sehr viel Nerven für dieses Ausbleiben einer Entwicklung; faszinierend ist sie aber genau deshalb in jedem einzelnen Augenblick. Gerade wegen all ihrer Reduziertheit. Das Premieren-Publikum konnte entsprechend kaum an sich halten vor Begeisterung.
Dieses innere Aufpeitschen hat die abschließende Arbeit, „White Darkness“ des spanischen Choroegrafen Nacho Duato, in immenser emotionaler Fallhöhe wieder nach unten geholt. Bereits 2001 hat er darin den Drogentod seiner jüngeren Schwester verarbeitet. Und in gewisser Hinsicht ist genau diese Information aber ein Hindernis, will man seine Arbeit lesen. Da steht ein Paar im Mittelpunkt: Er scheint sie zu anfangs mit Drogen in Kontakt zu bringen. Weißes Pulver rieselt aus ihren Händen und verteilt sich auf der Bühne. Damit wirkt alles klar, deutlich und also leider etwas zu vordergründig. Zu direkt lassen sich Verlockungen und Warnungen lesen, die durch acht weitere Tänzerinnen und Tänzer des Ensembles symbolisiert werden. Choreografisch fällt alles vordergründig und als direkt lesbare Geste aus. Die nervöse Unruhe der Süchtigen, die wachsende Entfremdung zwischen den beiden, ihre psychische Abwesenheit. Die inneren Dämonen sind nicht verklausuliert, sondern haben deutliche Namen. Eine solche Arbeit, die an sich ja abstrakt aufgebaut ist, entzaubert sich hier leider selbst.
Damit hat sich die Semperoper zwar keinen auffällig schlüssigen Abend geschaffen, aber immerhin einen, der niemanden im Publikum kalt lässt.
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