Szenen einer intensiven Beziehung

Rubato ist „BORN2BEWILD“ und berührt in der HALLE mit sanften Tönen

Berlin, 07/07/2007
Durch den Saal betritt er die rötlich ausgelegte Spielfläche, greift zur Gitarre, lockt damit leise sein Weibchen. Das taucht hinter einem Pult aus Requisiten auf, begrüßt das Männchen mit Blume. Aus einem Blick des Verstehens entwickelt sich ein Fall- und Sturzduett, das leitmotivisch den Abend durchzieht: Er sinkt ihr in die Arme, beide stürzen, verschlingen sich auf dem Boden. So beginnt das neue Duett der Qualitätsmarke Rubato. Nach zweijähriger Berlin-Abstinenz, gefüllt mit Aufbauhilfe für Compagnien im asiatischen Raum, sind Jutta Hell und Dieter Baumann nun wieder allein mit sich und ihrem Nachdenken. Über sich als Tänzer und einander eng verbundene Privatpersonen. Davon handelt 70 Minuten lang „BORN2BEWILD“ in der HALLE im Prenzlauer Berg.
Es sind Szenen einer intensiven Beziehung, die sich wie ein Puzzle vom Auf und Ab zu einem Bildteppich knüpfen. Zwischen einem Gestern und einem Heute wechselt die Zeit, zwischen Hippie-Ära und gegenwärtiger Reife, einem anderen Weltrayon wohl auch und dem Hier. Wuselperücken streifen sich die zwei immer beim Übergang ins Fremde über. Etwas deppert sitzen sie beim Frühstück, ehe sie wieder in ihr Sturzduo fallen. Umbau als Signal sich ändernder Lebensumstände bleibt eine der zentralen Aufgaben. Dazu gruppieren sie viele Einzelteile - Bänke, Taschen, Laptop, Köfferchen, Tierfell, Kleidungsstücke - regelmäßig neu um, machen es sich gemütlich, schaffen Ordnung aus dem Chaos. Erinnerung: Er spielt für sie Gitarre. Das haut sie vom Sitz, lässt sie schmachten und posen. Als sie sich ohne Perücken am Tisch begegnen, treibt sie in eine Umarmung, was sie über die Jahrzehnte gemeinsam stark gemacht hat. Doch schon zeigt sich auch Trennendes: Starrsinnig beharrt jeder auf dem „richtigen“ Platz für Tasse und Kanne.
Wie sehr sich die zwei umschleichen, jeder sein Eigenes zu behaupten sucht - in zuckender Bewegungsfolge, im Umbau, einem unvermittelten Schmiegen finden sie zusammen. Da ist die Reminiszenz an die Frühphase, sein Werben im Sound der E-Gitarre, ihr Abweisen, aus dem eine gegenseitige Stützbalance wird: Ließe der eine los, würden beide aus der Schräglage abkippen. Selbst wenn sie flugs die Seiten wechseln, trotzig manchmal, bedeutet das nur Verantwortungswechsel, nicht Flucht. Ganz eins, versinken sie in zärtlichem Streicheln, aus dem die Grobheit wird, sich gegenseitig ans Gesicht zu gehen. Wie im Traum verlangsamt sich dann die Zeit, assoziiert ChaChaCha-Rhythmus vom Band (Musik Lutz Glandien, Keziah Jones, Neue Heimat) jenes Fremde, bei dem die Hände zu schüttelnden Rumbagurken werden. In Langrock gerinnt sie zur Hippie-Ikone mit Victory-Zeichen, er igelt sich weit hinten in Requisiten und den ewig gleichen Gitarren-Akkorden ein. Doch ehe der Versuch, wild zu sein, künstlerisch schwächeln kann, kehrt unter Gewitterdröhnen das Stück zum Anfang zurück. Er trägt sie, umarmt wechseln beide im Vorwärtsgang die Seiten, stoppen aus toberisch aufbegehrendem Tanz frontal zum Zuschauer: als Sieger mit Faustpose diagonal über dem Kopf. Berührend, heiter, schon weise.
Wieder 7., 8., 12.-15.7., 21 Uhr, HALLE, Eberswalder Str. 20-11, Prenzlauer Berg, Kartentelefon 440 442 92, online ticket@halle-tanz-berlin.de

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