22 Minuten reinen Glücks
Martin Schläpfers „Pezzi und Tänze“ als Krönung des neuen, XXVIII. Programms beim Mainzer Ballett
Martin Schläpfers „3“ und Christopher Bruces „Dance at the Crossroads“ beim Mainzer Ballett
Zum ersten Mal seit den frühen achtziger Jahren hat der Brite Christopher Bruce wieder in Deutschland eine Uraufführung herausgebracht. Im zweiten Teil des neuen Ballettabends im Kleinen Haus des Mainzer Staatstheaters war Bruces „Dance at the Crossroads“ zu sehen: Zu einer Musik der Gruppe The Waterboys ein schönes, lockeres Halbstunden-Stück, das in sieben Szenen für ebenso viele Tänzer – vier Frauen, drei Männer – das Leben einer Frau – hinreißend: Yuko Kato – am Publikum vorbeiziehen lässt. Die Choreografie, der unlängst überraschend verstorbenen deutschen Choreografin Heidrun Schwaarz gewidmet, mit der Bruce befreundet war, ist in einem von der neuen Romantik befruchteten klassischen Modern Dance-Idiom gehalten und schlägt sich wacker, hat aber keine Chance gegen die ihr vorangehende Uraufführung: des Mainzer Ballettchefs Martin Schläpfer eigene Choreographie „3“, die den Platzhirsch auf einer neuen Stufe seiner künstlerischen Entwicklung zeigt.
Balanchine ist – neben Hans van Manen – immer schon Schläpfers großes ästhetisches Vorbild gewesen, und dass er es nach wie vor ist, zeigt auch die Choreografie, mit der Schläpfer seine vorletzte Saison (vor der Übersiedlung des Choreografen an die Deutsche Oper am Rhein) eröffnete. Das Werk trägt den lakonischen Titel „3“, weil sich seine Sequenzen durchweg aus Dreier-Formationen entwickeln. Es bringt neun Tänzerpaare auf die Bühne, dauert rund 40 Minuten und wird begleitet von einer Auftragskomposition des Briten Paul Pavey; einer enervierenden Mischung aus live gespieltem Cello, Elektronik und menschlicher Stimme vom Tonband.
„Balanchine hat mich als Schatten permanent begleitet“, wird Schläpfer im Programmheft zitiert; „sein Maßstab machte die Proben zu einem noch anspruchsvolleren, kritischeren Prozess“. Tatsächlich wirkt „3“ wie die Weiterentwicklung von Balanchines „Agon“ in eine durch größere Härte und Kühle geprägte Gegenwart. Aus einer fast leeren, dunklen Bühne, in deren Hintergrund Thomas Ziegler wie ein vergessenes Museumsstück ein Blumenstilleben des flämischen Malers Jan Frans van Dael gehängt hat, holt Stefan Bauers Licht einen am Boden kauernden einzelnen Tänzer, zu dem sich rasch eine Frau und ein weiterer Mann gesellen. Männer und Frauen tragen dieselbe Art von Gitterkostüm (von Catherine Voeffray), das nur das Notdürftigste bedeckt und den Tänzern eine kriegerische Note verleiht; die Frauen tanzen durchweg auf Spitze.
Das macht sie allerdings keineswegs zu elfenhaften Wesen. Sie schweben nicht. Sie hämmern, im Gegenteil, ihre Schritte wie mit Gewalt in den Boden, und verleihen so dem Ganzen, schon in den nur sparsam mit Personen bestückten Sequenzen des Beginns, eine Wucht, wie sie das klassische Ballett zuvor kaum je gekannt hat. Schläpfer sucht „keinen schönen Raum“ und „kein schönes Licht“. Ihn interessiert „nur das Material: „Ich möchte nur den Tänzer sehen, nicht den Tänzer im ausgeleuchteten Raum, sondern den Tänzer im erahnten Raum, in seinem Lichtraum“ – und das Ergebnis gibt ihm recht. Mit seinen Balancen und Verknotungen ist „3“, Forsythe-näher als irgendein anderes Werk von Schläpfer, ein grandioses Stück, ein Meilenstein einer im Grunde schon vergangenen Epoche, die sich mit ihm zu alter Größe aufschwingt.
Gegen Ende hin holt Schläpfer, nach und nach, sein komplettes Ensemble auf die Bühne. Aber ein großes, rauschhaftes Finale, wie es sein Vorbild liebte, verkneift er sich. „3“ endet, fragmentarisch bis zum Schluss, stumpf und beinahe verlegen; die Choreografie, die dem neoklassischen Ballett neues Leben einhaucht, benötigt keine Schluss-Apotheose; sie verebbt einfach. An ihrer Größe ändert das nichts.
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