Requiem fürs Zipperlein

Vages und Niveauvolles beim Internationalen Solo-Tanz-Theater-Festival

Stuttgart, 20/03/2007

Kaum einer tanzt noch zu klassischer Musik - beim 11. Solo-Tanz-Theater-Festival war Gabriel Fauré das höchste der Gefühle, und der wurde ironisch eingesetzt. Eventuell kommen noch Minimalisten wie Philip Glass oder Arvo Pärt in Frage, aber die allermeisten jungen Choreografen ziehen elektronisch generierte Soundtracks und Geräuschlandschaften vor, nicht wenige davon verantworten ihre akustische Begleitung sogar selbst. Der Tanz emanzipiert sich von der Musik (ohne Zweifel ein Einfluss William Forsythes), die wird zum atmosphärischen Beiwerk wie Beleuchtung, Requisiten und Video.

Fast 200 Bewerbungen waren für die elfte Auflage des Stuttgarter Choreografie-Wettbewerbs eingegangen, 18 Werke wurden der Jury vorgestellt, in der dieses Jahr Sonia Santiago, die ehemalige Erste Solistin des Stuttgarter Balletts, die Innsbrucker Ballettdirektorin und Choreografin Birgit Scherzer, die isländische Choreografin Lára Stefánsdóttir sowie die Tanzfestivalleiter Alberto Magno aus Portugal und Samuel Wuersten aus Holland saßen. Ins sonntägliche Finale gelangten dann acht Solos vor das neugierige, begeisterte und immer wieder Mut machende Publikum im Robert-Bosch-Saal des Treffpunkts Rotebühlplatz.

Inspirieren ließen sich die Teilnehmer von Themen wie Träumen, Impulsen, Entscheidungen oder auch vom Leben, das noch zu leben bleibt. Da blieb manches doch arg vage, aber nicht so beim Gewinner des Abends: „I hate you“ klingt es zu Beginn von „Emotion Tabled“ in den Raum. Zögerlich setzt sich Choreograf und Tänzer Ryan Lawrence mit einem weißen Tisch auseinander, was von Draufschlagen bis Druntersitzen reicht. Der Amerikaner tanzt beim holländischen Scapino Ballet, sein etwas einseitiges Stück handelt von der Wut auf die eigene Destruktivität und wirkt wie ein tanztheatralischer Beckett-Monolog.

Erfrischend frontal stellte sich die Kubanerin Maura Morales mit ihrem Solo „Die Hypochonder“ vors Publikum und lokalisierte wortreich die Zipperlein ihres geplagten Tänzerinnenkörpers. Ihr Latino-Temperament verband sich mit der extremen Biegsamkeit des modernen Tanzes zu einer grotesken Schmerzens-Samba, bei der sogar die Zehen mitlitten. „Dona eis requiem“ klagte die Musik, und gemeint waren die zuckenden Glieder - für ihr selbstironisches und in jeder Hinsicht originelles Solo gewann Morales, die am Staatstheater Darmstadt tanzt, den zweiten Preis.

Der dritte Preis für Choreografie wie für Tanz ging an die Polin Katarzyna Sitarz, die in „When the last candle is blown out“ im weißen Sterntaler-Kleidchen über die Bühne huschte und für ihren federnden, schwungvollen Tanzstil aus einem großen Bewegungsrepertoire schöpfte. Beim ersten Preis für Tanz gab es keine andere Wahl als Golan Yosef, so ausdrucksvoll verband der Holländer in seiner Choreografie „Impulses“ klassisch grundierten Tanz mit den unterschiedlichsten modernen Einflüssen. Den zweiten Preis für Tanz und auch den Publikumspreis erhielt die Belgierin Paule De Laet für „Future qui reste“, eine kindlich-introvertierte Selbstbefragung mit Gummistiefeln und Wasserplätschern. Vergeben wurden insgesamt Preise von 15.555 Euro, und beim hohen Niveau fast aller diesjährigen Beiträge war es vielleicht einfach nur Pech, wenn das stimmungsvolle Solo „Chasak“ von Minka-Marie Heiß oder das eigenwillige „Chidvilas“ der Türkin Asli Ötzürk leer ausgingen.
 

Link: www.treffpunkt-rotebuehlplatz.de

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern