„Ich sehe eine Gefahr für das Handwerk“

Susanne Linke tanzt im Volkstheater. Ein Gespräch über das Stück „Schritte verfolgen“, Tanz-Krise, Jugend und Berlin

Wien, 31/07/2007

Sie zählt zu den großen Frauen des deutschen Tanztheaters und gastiert in Wien seit Jahren beim Festival ImPuls Tanz.

Frage: Im April sind Sie mit dem Deutschen Tanzpreis ausgezeichnet worden. 

Susanne Linke: Ich habe das nicht erwartet und dachte nicht, dass der Preis eine so große Bedeutung hat, auch im Ausland. Abgesehen davon ist die Jury eigentlich mehr klassisch orientiert. Ich sehe den Preis als Erfolg für den Modernen Tanz.

Frage: Der Preis ist ein Anlass zurückzuschauen. Das tun Sie auch in Ihrer aktuellen Aufführung „Schritte verfolgen“, die 1985 entstand. 

Susanne Linke: Bei der Beschäftigung mit dem Buch, das Norbert Servos über mich gemacht hat, sah ich mein ganzes Material durch, Fotos und Videos. Ich muss sagen, dass ich sehr begeistert war, als ich das Stück wiedersah. Ich habe übrigens keinen Schritt daran geändert. Aber: Die Zeit ist nicht an mir vorbei gegangen. Ich war 41, als ich das Stück kreierte. Zwischen 41 und 63 ist ein kleiner Unterschied. Ich habe nur bei meinem Auftritt Zustand und Haltung geändert.

Frage: Was steckt hinter der Absicht, alte Werke wieder aufzunehmen? 

Susanne Linke: Heute ist der Tanz sehr energetisch, das macht es vielleicht für die Zukunft schwerer. In den 80er-Jahren aber war die Form-Doktrin sehr stark, die den Inhalt zum Ausdruck brachte. Aber es gibt einfach Stücke, die immer Bestand haben. Mary Wigmans „Hexentanz“ hat immer noch seine Gültigkeit oder Pina Bauschs „Café Müller“ und „Schwanensee“ sowieso...Ich wollte auch nie Avantgarde sein. Damit kann ich nichts anfangen. Trotzdem wollen die Leute auch meine frühen Stücke sehen.

Frage: „Schritte verfolgen“ ist biografisch angelegt, jetzt tanzen aber neben Ihnen drei junge Tänzerinnen die Lebensabschnitte... 

Susanne Linke: Die sind auch unterschiedlich alt, zwischen 20 und 40. Den Kindheitstraum macht Mareike Franz, die ich vor einem Jahr in Wien kennengelernt habe. Sie hat von mir schon „Wandlung“ getanzt, das ist Schuberts „Tod und das Mädchen“.

Frage: Der Unterschied der heutigen Tanzszene zu jener der 80er-Jahre ist groß. Manche sprechen von einer Krise. 

Susanne Linke: Einerseits sehe ich unglaublich akrobatische Tänzer. Die anderen aber stehen und reden. Theater aber hat meiner Meinung nach etwas mit Magie zu tun. Im Tanz ist das Schleifen an der Form das, was letztlich Bestand hat.

Frage: Sie unterrichten viel. Welchen Eindruck haben Sie vom Nachwuchs? 

Susanne Linke: Es gibt wenig Leidenschaft. Viele wollen nur Spaß haben. Das Projekt von Rattle, „Rhythm is it“, ist großartig. Aber jetzt meinen plötzlich viele, dass alle Kinder ohne Ausbildung auf die Bühne müssen. Ich sehe da eine Gefahr für das Handwerk.

Frage: Sie waren am Bremer Theater Tanzchefin, haben in Essen das Choreografische Zentrum Essen gegründet. Würde Sie wieder eine Leitungsfunktion interessieren? 

Susanne Linke: Ich bin jetzt in Berlin stark verankert, lehre auch an der Universität der Künste. Aber wenn es ein lukratives Angebot gibt, würde ich das glatt machen. Aber es braucht auch einen Stamm von guten Leuten, mit denen man arbeiten kann. Außerdem tanze ich ja noch.

 

Biografie Susanne Linke: Eine Wegbereiterin des Tanztheaters 

Susanne Linke wurde 1944 in Lüneburg geboren, studierte bei Mary Wigman sowie an der Essener Folkwang-Hochschule. Sie zählt zu den Persönlichkeiten, die die Entwicklung des deutschen Tanztheaters entscheidend mitgeprägt haben. Linke choreografiert seit 1970 und schaffte eine internationale Solo-Karriere. Seit den 80er-Jahren gastiert sie bei den wichtigsten Festivals. Sie schuf Choreografien u.a. für die José Limon Company, das Ballett der Pariser Oper, das Nederlands Dans Theater.
2007/08 wird Linke eine Uraufführung für das Ensemble von Hans Kresnik in Bonn herausbringen. Weitere Arbeiten in Philadelphia und Essen.

Mit freundlicher Genehmigung des Kurier

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