Wenn Tänzer singen, wird die Welt eine andere
ImPulsTanz in Akademie- und Volkstheater: Mathilde Monnier und Sidi Larbi Cherkaoui
Was an dem 30-jährigen, derzeit gehypten Choreografen Sidi Larbi Cherkaoui gefällt, ist, dass er sich nicht primär um Moden kümmert. Eine wohltuende Haltung. Lammfromm ist der in Antwerpen geborene Sohn marokkanischer Einwanderer deswegen noch lange nicht. Sichtbar geprägt von Alain Platel, greift Cherkaoui auch in seiner neuen Produktion, dem Zweistünder „Myth“ (bis 27. 7. im Volkstheater), nach all den Zutaten, die in seiner Regie-Hand zu einem brodelnden Multikulti-Theater-Akt werden.
Da wird mit Mitteln der Martial Arts ebenso gekocht wie mit Urban Dance Styles und anderen zeitgenössischen Techniken. Diese Verfahren setzt Cherkaoui präzise für seine Charaktere ein, die „Myth“ zu einer Art großer Erzählung formen. Diesmal geht es dem Mittelalter-Fan um Dualitäten: um Gut und Böse, um Schwarz und Weiß, um Himmel und Hölle. Vor allem aber um das Auseinanderklaffen von Wissen und Intuition.
Bücher In einer Bibliothek spielen sich in unzähligen kleinen und größeren Szenen Licht- und Schattenspiele von dramatischem Ausmaß ab. Menschen lesen Bücher. Alsbald aber fließen den Boden entlang schwarze Gestalten in den Raum. Und diese Schatten, die den Abend über mit virtuoser Geschmeidigkeit nicht nur die vermeintlichen Gut-Menschen bedrohen, sind das Salz des Themas. Wie personifizierte Verdrängungen wühlen sie den Gefühlszustand der handelnden Personen auf. Und dafür findet der Fantast Cherkaoui eindringliche Bilder und wundersame mittelalterliche Musik. Das italienische Ensemble Micrologus mit Patrizia Bovi bestimmt die Klangfarben.
Der Intellektuellen, die sich moderne Psychologie aus Büchern erklärt, ordnet der Regisseur einen knurrenden Wüterich zu. Aber auch das Mädchen, das im Reifrock der Infantin daherkommt, der schwarze Beau in Frauenkleidern, die beleibte, im Getümmel mitbewegte Sängerin - sie alle sind gewissermaßen Verfolgte. So klar wie dieser Text kommt das Stück allerdings nicht daher. Cherkaoui gibt zahlreiche Literaturverweise, von Dante bis Henry Miller und lässt seine Figuren intellektuelle und physische Verstrickungen erfahren. Diesen ständigen Glaubenstaumel erhöht er noch mit dem symbolträchtigen Auftritt eines Mannes, der für sich ein Kreuz aus Stangen formt. Aber selbst er hat einen Schatten.
Mit freundlicher Genehmigung des Kurier
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