An Dante verhoben

Tanztheater pvc versucht sich in an der „Göttlichen Komödie“

Heidelberg, 12/07/2007

Sündenpfuhl und Fegefeuer, Dantes Höllenvisionen als Tanztheater, versetzt in die kolossale Kulisse der Heidelberger Schlossruine, da kommt Vorfreude auf. Weltliteratur im Quasi-Weltkulturerbe - Heidelberg ist eben zum zweiten Mal an der offiziellen Anerkennung der Unesco als Weltkulturerbe vorbeigeschrammt - nimmt das Leitungsteam des Freiburg-Heidelberger Tanztheaters pvc die Herausforderung an und sattelt drauf.

Dante Alighieri ist 42 Jahre als er 1307 beginnt, sich mit mittelalterlichen Jenseitsvorstellungen zu befassen. Im Fegefeuer können die Hochmütigen unter der Last von Steinen den Blick nicht mehr vom Boden lösen, die Trägen müssen um den Berg hetzen, die Habsüchtigen liegen mit dem Gesicht im Staub. Um den rechten Weg ringend, entwirft der Florentiner im Laufe von dreizehn Jahren einen fiktiver Bußgang in hundert Gesängen, eine ausgefeilte Topografie des Infernos, des Läuterungsbergs und des Paradieses. Kurz vor seinem Tod beendet er „La Comedia“, das heißt: die Geschichte mit gutem Ausgang. Das Beiwort „divina“ erhält sie erst posthum durch Dantes Bewunderer Giovanni Boccaccio.

Ein Tanzstück nach Dantes „Göttlicher Komödie“, das sich unter dem Titel „Der zweifelhafte Wunsch der Zärtlichkeit“ von der Verbindung zwischen Francesca von Rimini und Paolo Malatesta habe inspirieren lassen. Laut Programmheft wollen der Chefchoreograf Graham Smith und sein Regisseur Tom Schneider nicht nur „etwas genauer über Sünde und Vergebung, Schuld und Sühne, Erlösungsphantasie und Höllenqual nachdenken“, sondern „eine neue Version des berühmten Versgedichts entwickeln“.

Für den Kraftakt schicken Smith und Schneider sieben Protagonisten auf die Bühne. Leicht bekleidet die Tänzerinnen (Murielle Elizéon und Su-Mi Jang sowie die Tänzer Sebastian Rowinsky und Marco Volta) in hautengen Szeneklamotten, schwarze Spitze, rote Accessoires, Reit- und Lederhosen, die Ellbogen- und Knieschoner kaschieren (Kostüme: Franziska Jacobsen). Sexy grooven sich die Tänzer ein. Ein Telefon klingelt. Keiner geht ran. Ob vereinzelt wie in der Disco, zum Quartett geeint oder paarweise zum Hüft zuckenden Balztanz verdammt, sie wirken auf der Open-Air-Bühne verloren. Beliebig wie das choreografische Material, ein Sammelsurium bekannter Bewegungsidiome aus Showtanz, Latin und Flamenco, aus Butoh und Modern Dance bleibt auch die ausgefaserte Erzählweise ohne Spannung und inneren Rhythmus. Mal springen die einen gegen eine Wand aus Schaumstoff-Bausteinen, mal tummeln sich die anderen beim Hüpfspiel „Himmel und Hölle“.

Eher geturnt als getanzt gerät der szenische Höhepunkt zum dürftigen Abklatsch von Rudelbumsen im Swingerclub. Vorhersehbare Effekte, diffuser Aktionismus tritt das Stück auf der Stelle. Michael Deeg, Typ Geschäftsmann, eilt mit Perserteppich hin und her, rollt den schweren Bodenbelag aus und ein. Weihrauch durchzieht das Bühnenparadies. Die beiden anderen, Florian Kleine und Nikolaos Eleftheriadis, Typ Looser mit Kapuzenpulli, schrammeln auf der E-Gitarre, saufen Bier und sondern über Mikro Textbruchstücke ab. Mit Zitaten von Ingeborg Bachmann, Sarah Kane und Tom Stoppard meint man den Originaltext aktualisieren zu müssen. Hier feiert altersschwaches Regietheater 75 Minuten lang fröhliche Urständ.

Von allen falschen Leidenschaften, Hochmut, Jähzorn, Neid, Geiz, Wollust, Völlerei und Trägheit, sei es am schwierigsten sich vom Hochmut zu befreien - resümierte Dante, der wie kein anderer Dichter vor ihm, die eigene Person als Liebender und Leidender, als Irrender und Lernender in den Mittelpunkt seiner kritischen Betrachtung stellte. Textfetzen, Totentanz und Tarantella - wer vor drei Jahren die Dante-Performance des in Heidelberg lebenden Künstlers Jorgos Papastefanou besucht hat, konnte im Rahmen des Ludwigshafener Kultursommers erleben, dass es auch ohne Überheblichkeit und Selbstüberschätzung geht. Mit nur drei Musikern und einem Butohtänzer ist dem griechischen Bildhauer auf einer Schrotthalde eine unter die Haut gehende Adaption des Infernos gelungen.

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