Wenn die Hände sprechen können

Alessandra Ferri verabschiedet sich mit Roberto Bolle als Partner in Neumeiers „Kameliendame“

oe
Hamburg, 11/07/2007

Sie hat es nicht nötig, tanzen zu wollen wie die Callas singt! Sie kann es sich leisten, sie selbst zu sein: Alessandra Ferri, eine Ballerina in der großen italienischen Traditionslinie der Viganò, Blasis, Cecchetti, dell‘Era, Fracci und Terabust. Und so hat sie sich jetzt auch verabschiedet: als Kameliendame in John Neumeiers Ballettversion des Dumas-Klassikers – auf ihrer Welttournee in Hamburg, im Rahmen der dortigen Ballett-Tage an der Seite ihres langjährigen Partners Roberto Bolle (der uns hoffentlich noch eine Weile erhalten bleibt).

Leider nicht auch in Stuttgart, wo es natürlich interessant gewesen wäre, ihre Interpretation der Marguerite Gautier mit der von Marcia Haydée zu vergleichen, Neumeiers Ur-Marguerite. Ob wir dann wohl dazu inspiriert worden wären, die beiden als Tanzaktricen in der Nachfolge der beiden legendären Kameliendamen des 19, Jahrhunderts zu sehen: Sarah Bernhardt und Eleonora Duse: Kein Zweifel, dass Ferri als Ballerina die tänzerische Erbin der Duse ist! Sie ist es besonders durch die Expressivität ihrer Hände, wie genau dies die Spezialität der Duse war. Wie sie im zweiten Akt ihre Hände als Schutzschild vor Armand aufrichtet, wenn der von seinem Rivalen herausgefordert wird, wie eloquent sie mittels ihrer Hände im Gespräch mit dessen Vater (hin und her gerissen: Michael Denard von der Pariser Opéra) plädiert, wie verzweiflungsvoll sich ihre Hände aus dem schwarzen Pelz schälen, bevor sie sich in den letzten leidenschaftlichen Pas de deux mit Armand stürzt, das legitimiert sie als Erbin der Duse – von ihrem menschlichen Reifeprozess einmal ganz abgesehen.

Die Galavorstellung gehörte Alessandra Ferri, aber für die große Überraschung des Abends sorgte Roberto Bolle als Armand, der sich in dieser Rolle das darstellerische Format eines Clark Gable ertanzte. Seine tänzerischen Qualitäten sind bekannt – und er tanzte sie in seinem Verzweiflungssolo am Schluss des zweiten Aktes voll aus. Was er aber an psychologischen Details in seine Rolle einbringt, ließ sie so reich und so komplex erscheinen, wie ich das noch nie zuvor gesehen habe – weder in der Originalversion noch bei einen der vielen Armands seither.

Überhaupt war dies eine Vorstellung, die mich so viele dramaturgische und choreografische Raffinessen entdecken ließ, die ich in all den Jahren seit der Uraufführung dieses Balletts gesehen habe. Was nicht zuletzt für die Einstudierungsqualität dieser 195. Vorstellung seit ihrer Hamburger Premiere 1981 spricht. Und natürlich auch für die formidable Kondition, in der die Hamburger heutzutage IHRE „Kameliendame“ tanzen. Die vom Publikum des ausverkauften Hauses – mit vielen abgewiesenen Last-Minute-Interessenten – entsprechend applaudiert wurde. Wenn es noch eines Beweises bedurfte hätte, wie vital, wie spannend die Vorstellung eines abendfüllenden Handlungsballetts auch heute noch sein kann – übrigens auch musikalisch auf höchstem Niveau –, das Hamburg Ballett John Neumeier könnte durchaus auf Augenhöhe mit den besten Hervorbringungen des Tanztheaters konkurrieren!

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