Die Geschichte des zeitgenössischen Tanzes aufgeblättert

Zum Abschluss der 11. Dance-Biennale

München, 08/11/2008

Münchens 11. Dance-Biennale beglückte, belehrte – und enttäuschte auch mal. Mittelprächtiges oder Flopps passieren Kuratoren zwangsläufig – Bettina Wagner-Bergelt blieb da nicht verschont –, wenn sie aus Kalkulationsgründen Produktionen einkaufen, die von diversen Partnern mitfinanziert werden. Die Uraufführung „Apertae“ des Franzosen Bernardo Montet jedenfalls fischte noch trübe in einem Konzept-Rohzustand. Was um so krasser deutlich wurde im Vergleich mit dem tags zuvor gesehenen „12/...im linken Rückspiegel auf dem Parkplatz von Woolworth“ von VA Wölfl. Der langjährige Leiter von Neuer Tanz Düsseldorf, der uns zuletzt etwas ausgeblutet schien, hat sichtlich aufgetankt. In diesem minimalistisch bewegten Totentanz-Popkonzert (ein Vorhang aus Knochenmännern wandert in Zeitlupentempo um die Bühne!) über unsere schrille Medienwelt und grotesken Politzirkus war alles hochgradig durchdacht und feinstgeschliffen bis in die Stimmbänder, bis in die sich überlagernden Klang- und (Moderatoren-)Wortströme hinein, bis in die Fingerspitzen seiner brillant auf coole Sprech- und Sing-Maschinen stilisierten Allrounder.

Der Belgier Wim Vandekeybus, wie Wölfl Avantgardist der frühen 80er Jahre, entfaltete in „Spiegel“, einem Zusammenschnitt seiner wichtigsten Arbeiten, die leise Poesie des Tanztheaters und die Stuntman-artige New-Dance-Power – quasi Actionfilm live – , was uns einst und auch jetzt wieder euphorisierte. Wölfl mit seinen Grenzgängen und der Dynamo Vandekeybus bilden, einmal geschichtlich betrachtet, nach und neben Pina Bauschs Tanztheater, die beiden (europäischen) Hauptströmungen des zeitgenössischen Tanzes. Seine Geschichte aufzublättern war ja Wagner-Bergelts erklärtes Ziel. So sah man eine etwas verschroben anmutende, wie aus den 60ern hergebeamte Körper-Stimm-Etüde der US-Tanzpionierin Deborah Hay oder Wendy Houstouns sympathisch rustikale Brit-Erzähl-Bewegungs-Performance, zu datieren etwa auf die 70er. Und frisch aus Brasilien Bruno Beltrãos HipHop-Variante. Aber im Umbruch in den zeitgenössischen Tanz hat der Streetdance seine Kraft, seinen Charme, seine Seele verloren.

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