Wie ein vierblättriges Kleeblatt
„Tanzquartett” in Hagen
Ricardo Fernandos „Giselle“: klassisches Ballett zwischen Romantik und Moderne
Jubel in Hagen am Ende der Premiere des Balletts aller klassischen Ballette, „Giselle“ nach Heinrich Heines Erzählung von den sagenumwobenen Wilis - Bräuten, die vor der Hochzeit starben und zu ewigem, ruhelosen Tanz zwischen Mitternacht und Morgen verdammt sind. Jeder Mann, der dann in ihren Bannkreis gerät, muss sich in ihren Armen zu Tode tanzen. Adolphe Adam komponierte die unsterbliche Musik auf das Libretto seines ebenso berühmten dichtenden Landsmannes Théophile Gautier (mit Henri de Saint-Georges). Seit der triumphalen Pariser Uraufführung 1841 hält der Siegeszug des Klassikers durch die Welt an und hat vielfache Bearbeitungen erlebt bis hin zu der eigenwilligsten Version: bei Mats Ek landet Giselle in der Irrenanstalt.
Dass Ricardo Fernando seine Hagener Fassung vollmundig als „Uraufführung“ bezeichnet, hat etwas Verwegenes, aber auch rechtschaffen Offenes. Denn vom hochvirtuosen Spitzentanz, der sich mit diesem Ballett allgemein durchsetzte in der Romantik, distanziert er sich ebenso wie von entscheidenden Details der Geschichte (Dramaturgie: Maria Hilchenbach). Da wird nicht das naive Bauernmädchen wahnsinnig und stirbt an gebrochenem Herzen, als ihr Liebhaber sich als Adliger und Verlobter der Dame Bathilde entpuppt. Vielmehr vollführt ihr eifersüchtiger Verehrer Hilarion (hier Gastwirt statt Jagdaufseher) volltrunken einen wahren Feitstanz und richtet die Pistole auf den von Gewissensbissen zermarterten Rivalen. Als Giselle sich zwischen die Streithähne wirft, löst sich ein Schuß. Das Mädchen stirbt in den Armen der Mutter.
Wenn sich der Vorhang zum zweiten Akt, dem berühmten „ballet blanc“, öffnet, wird im fahlen blauen Dunst eine kahle Baumreihe hinter einer Ruine sichtbar – das Waldgasthaus, das Hilarion einst führte, ist verfallen. Ein Kreidekreuz auf der Felswand erinnert an das Unglück vor Urzeiten. Vorn auf dem Boden kauert ein Koloss, andere liegen verstreut wie Felsbrocken: die Wilis und ihre Opfer – versteinerte Frauen und Männer in eisgrauen, halblangen Tüllröcken. Dank dieses Kunstgriffs kann Fernando ein „Corps de ballet“ von einem ansehnlichen Dutzend auf die Bühne bringen. Ähnlich half sich (zum Beispiel) Philip Lansdale in seiner Bielefelder „Schwanensee“-Fassung.
Die ebenso effiziente und unverkrampfte wie wunderbar atmosphärische Ausstattung entwarf Dorin Gal völlig im Einklang mit Fernandos Choreografie. Die Solisten überzeugen allesamt durch begeisterndes Engagement: Simona Tartaglione als witzig-natürlicher Teenie Giselle, Marcelo Moraes als lockenköpfiger Naturbursche Albrecht, Leonardo Fonseca als reifer, jähzornig eifersüchtiger Hilarion, Daria Dergousova als Myrtha, die Königin der Wilis, Viola Crocetti als Albrechts Verlobte Bathilde und die zarte Carla Silva als Giselles liebevolle Mutter. Die Damen und Herren der Truppe lassen sich völlig auf die temperamentvollen Tänze der Bauern und Winzer im ersten Akt ein, aber ebenso ernsthaft bemüht um die schlüssig stilisierten Formationen und Gesten im weißen Akt.
Mag manches ungelenk und plump rüberkommen – das klassische Ballett aus heutiger Sicht und Möglichkeit kleiner Theater hat hier eine ehrliche Chance, zumal das Philharmonische Orchester unter der Leitung von Gwennolé Rufet keine Wünsche offen läßt. Respekt!
Nächste Vorstellungen: 16. und 27. 03. 2008, Karten: 02331-20732-18 oder -19
Link: www.theaterhagen.de
Noch keine Beiträge
basierend auf den Schlüsselwörtern
Please login to post comments