Ritual des neuen Mannes
„Lemniskata” von Lukas Avedaño feiert auf Kampnagel Europapremiere
Kein kuscheliges Dunkel, sondern grelles Arbeitslicht beherrscht die Kampnagel-Halle. Der Mann auf der Bühne schaut einigen Zuschauern direkt in die Augen, nickt ihnen aufmunternd zu und gestikuliert wild – was will er bloß? Nach Momenten der Unsicherheit wird klar: Der Mann will gar nichts. Es ist Xavier Le Roy, Tänzer und Choreograf, der einen Dirigenten spielt und mit dem Publikum „arbeitet“, wie mit einem Orchester.
Die Idee kam dem Franzosen mit Berliner Wohnsitz, als er eine Probe von Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ mit Sir Simon Rattle und den Berliner Philharmonikern sah – Rattle ist bekannt für sein dramatisches und hochemotionales Dirigat. Der Tänzer imitiert den Musiker, übertreibt und vergrößert Bewegungen, schaufelt, peitscht und schnauft allerdings wie das Original. Und ebenso wie Rattle lauscht er kritisch den Tönen, die er vorgibt zu initiieren. Dass im Grunde der Tänzer auf die Musik reagiert, vergisst man bei Le Roys perfekter Performance, denn ebenso wie Rattle lobt und tadelt er mit kleinen Gesten das musikalische Ergebnis. Strawinskys 45-minütige Ballettmusik erklingt dabei aus Lautsprechern unter den Zuschauersitzen, es hört sich also im Publikum durchaus so an, als ob der Sitznachbar den Fagott-Einsatz vermasselt hat. Xavier Le Roy – 2006 war er Choreograf des Jahres – lehrt uns anders zu sehen und neu zu hören, dabei ist er in jeder Minute unterhaltsam, ohne je plump zu werden.
Link: www.kampnagel.de
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