Diesseits und jenseits des Parkplatzes von Woolworth

Stelldichein der choreographischen Elite: Stücke von VA Wölfl, Raimund Hoghe und Xavier Le Roy bei der „Tanzplattform Deutschland“ in Hannover

Hannover, 26/02/2008

Der freundliche Regisseur und Theaterleiter aus Kasachstan ist irritiert: Ist das Kunst, Anti-Kunst? Wo soll man das zeigen? Welchem Publikum? Und vor allem: Ist das alles? Der Mann stand mit seinen Fragen nicht allein: Wer die achte „Tanzplattform Deutschland“ in Hannover besucht, erwartet den repräsentativen Querschnitt. Was auf der Plattform alle zwei Jahre über die Bühne geht, steht für den deutschen Tanz. Die Entscheidung für nur zehn Produktionen an vier Tagen war da bereits ein Statement.

Das Programm, das zum dritten Mal eine Jury für die nationale Veranstaltergemeinschaft aus Berlin, Frankfurt / Main, München, Hamburg, Leipzig, Düsseldorf und Stuttgart erstellte, hat Signalwirkung: Der vor einigen Jahren noch heiß umkämpfte „Konzept-Tanz“ hat sich, reich differenziert, auf breiter Linie durchgesetzt. Nicht vertreten war das mehr oder minder gute Mittelmaß, das handwerklich solide Arbeit leistet. Empfindlicher fehlte eine Position wie die William Forsythes, zumal die Jury (die Veranstalterin Christiane Winter, der Tanzwissenschaftler Franz Anton Cramer sowie Joachim Gerstmeier, Projektleiter des Siemens Arts Program) auf den persönlichen Einsatz einer eigenständigen künstlerischen Recherche setzte. Stadt- und Staatstheaterproduktionen blieben bewusst unberücksichtigt.

Auf bewährte Weise überraschte dabei wieder einmal VA Wölfls Kompanie Neuer Tanz mit „12 / . . . im linken Rückspiegel auf dem Parkplatz von Woolworth“: die Collage einer konzertant dargebotenen Radioshow eines US-Soldatensenders im Krieg. Latex, Glitzer, Spitzenschuhe und laute Posen in klinischem Weiß. Hinter einem Vorhang aus tanzenden Gerippen blendet VA Wölfl uns mit perfekt getimten Bewegungen zu Pop und Propaganda.

Dieses Setzen auf große Namen rechtfertigte sich auch bei Raimund Hoghes „Bolero Variationen“. Auf der großen Schauspielhaus-Bühne gibt Hoghe einer Tänzerin und vier Tänzern viel Raum, um zu erscheinen und zurückzutreten. Konsequent widerständig insistiert er darauf, dass sich das Private ins Allgemeine vermittelt - zwischen der legendären Eiskunstlauf-Interpretation von Jayne Torvill und Christopher Dean 1984 in Sarajewo und dem Ravelschen Original, dem er, längst zum Koitus-Soundtrack vernudelt, seine Würde zurückgibt.

Xavier Le Roy, der gewitzteste Denker der hiesigen Konzeptualisten, hat sich Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ angenommen und gibt uns den Simon Rattle in höchster imitativer Brillanz. Er zwingt das Publikum zum Mitvollzug seiner radikalen Reflexionen über künstlerischen Zeichengebrauch: Virtuos spielt er als musikalischer Führer im roten Hemd mit „innerer“ Partitur und äußerem musikalischem Ablauf, fachlichem und expressivem Gestenalphabet und der Frage, an wen sie sich richten.

Nicht ganz auf der Höhe zeigte sich Meg Stuart im Verbund mit dem Österreicher Philipp Gehmacher: Das Duett „Maybe forever“ führt vor, wie Zuwendung ins Leere läuft, Umarmungen einander verfehlen, Nähe abrupt aufgegeben wird, während der Gitarrist von Sehnsucht und Liebe singt und im Hintergrund ein Schwarzweißfoto von Farn und Pusteblumen aufgrünt. Richtig depressiv war es nicht, zu ausgelutscht in der Beziehungsproblematik, ein ständig gebrochenes Pathos, das weder nach unten durchbricht noch sich nach oben zuspitzt.

„Directory: Tattoo“ des Künstlerzwillings deufert + plischke enttäuschte; eine Grau-in-Grau-Installation aus Neonröhren, Text, Film, elektronischem Sound und konventioneller Choreographie für fünf Tänzer, der eine grundlegende Spannung der Elemente abging. Das galt auch für die HipHop-Gruppe E-Motion, deren spektakuläre Headspins dennoch den größten Beifall einheimsten. Hier war endlich die Dynamik, der Tanz, die vermeintliche Authentizität. Dass dabei einem überkommenen expressiven Selbstausdruck das Wort geredet, interkulturelle Harmonie beschworen und das Ganze in eine Pralinenpackung gesteckt wurde, schwächte die Sache erheblich.

Der sichere Erfolg mit eingängiger Ware, wie ihn E-Motion bietet, war die absolute Ausnahme auf der diesjährigen Plattform und zeigt, wie wichtig die Veranstaltung in ästhetischer Hinsicht für die ausländischen Gäste (viele kommen über die Goethe-Institute) und das heimische Publikum ist. Die Plattform soll ja auch Impulse für den Ort geben, an dem sie stattfindet. Einen handfesten Beitrag dazu leisteten Isabelle Schad, Bruno Pocheron, Frédéric Gies und Manuel Pelmus mit „Still Lives – Hannover“, die von Passanten Kommentare zu einer Fotografie von Jeff Wall einfingen und daraus eine wunderbare O-Ton-Montage machten, der sie leider Laientänzer in einer bräsigen Choreographie zusetzten. Nicht das Personal scheiterte, sondern das Gesamtkonstrukt.

Hörspiel, Film, Revue, Konzert, Musik - dass es auch ohne geht, bewies Frédéric Gies, der in „Dance“ allein auf seinen Körper vertraute und Anklänge an die Tanzgeschichte wachrief. Die verkörperte Susanne Linke, die ihr berühmtes biographisches Solo „Schritte verfolgen“ von 1985 nun auf sich und drei weitere Tänzerinnen aufteilte. Biographie als Sujet hat nicht ausgedient: Ausgehend von ihrem Namen komponierte Eszter Salamon in „And then“ einen berührenden Abend mit Songs und Dokumentarfilmmaterial. Pluspunkte in einer klaren, stringenten Programmierung, die für die Souveränität der Jury spricht. Hoffentlich auch das nächste Mal, 2010 in Nürnberg.

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