Diesseits und jenseits des Parkplatzes von Woolworth
Stelldichein der choreographischen Elite: Stücke von VA Wölfl, Raimund Hoghe und Xavier Le Roy bei der „Tanzplattform Deutschland“ in Hannover
Deutsche Tanzplattform 2008
10 Produktionen, 22 Aufführungen, 450 akkreditierte Fachbesucher, 90% Sitzplatzauslastung – die Tanzplattform 2008 in Hannover ist am Sonntag, den 24.02., erfolgreich zu Ende gegangen. Alle zwei Jahre präsentiert die Tanzplattform interessante Produktionen aus dem Bereich des zeitgenössischen Tanzes in Deutschland.
Mit Abstand das komplexeste, vielschichtigste und intelligenteste Stück bot der Düsseldorfer Choreograph V.A.Wölfl. „12/… im linken Rückspiegel auf dem Parkplatz von Woolworth“ ist mehr inszeniertes Konzert als Tanzstück. Zwischen viel technischem Equipment bleiben die Darsteller an ihren Keybords und E-Gitarren auf der Bühne relativ unbeweglich. Stattdessen singen sie schmalzige Popsongs oder hauen dem Zuschauer Jingles, Werbeslogans und Radioteaser um die Ohren. Über die vierte Wand zieht sich im Verlauf der hundertminütigen Aufführung langsam ein Vorhang aus Skeletten – ein memento-mori-Element, dessen Sinn sich erst nach und nach entschlüsselt. Denn in diesem Stück geht es um den Krieg – oder vielmehr, um die mediale Ausbeutung des Krieges.
Bei der Entlarvung der Entertainment-Industrie, die selbst schlechte Nachrichten noch zum Unterhaltungsprogramm generiert, erhebt V.A.Wölfl aber nicht politisch korrekt den Zeigefinger, sondern dreht und wendet deren Methode ins Gegenteil: wo die Unterhaltungs-Industrie mit Tempo, Dynamik und Aufreißern arbeitet, setzt Wölfl auf die genaue Kalkulation von Langsamkeit, von Wiederholungen, von Statik – und so, wie er es inszeniert, liegt eine ungeheure Kälte und Brutalität, die sich als Kehrseite der Brutalität der Medien offenbart. Wölfls Inszenierung ist komplett durchgestylt und extrem präzise; tatsächlich aber ist dieser Perfektionismus der Form ein inhaltlich tragendes Element, denn nur weil die Form so perfekt, der äußere Ablauf so minutiös ist, können starke inhaltliche Aussagen entstehen.
Eine präzise Inszenierung zeigte auch die ungarische Choreographin Eszter Salamon. In ihrer sehr wortlastigen Produktion „And Then“ versammelt sie verschiedene Namensvetterinen und lässt sie ihre Lebensgeschichten erzählen. Mehr aber als um das Erzählte geht es hier um den Akt des Erzählens – die Formen des Erzählens werden im Verlauf der neunzigminütigen Aufführung auf derart komplexe Weise verschachtelt, dass konkrete Zuordnungen von Geschichten zu Personen fast unmöglich erscheinen.
Genau gearbeitet auch das Duett ‚Maybe Forever’ von Meg Stuart und Phillip Gehmacher. Aus der gegenseitigen Beeinflussung ihrer sehr speziellen Bewegungssprachen entwickelt sich ein sparsames, kantiges, in manchen Momenten fast hölzernes Duett über die Dauer der Liebe, über die Versuche der Annäherung und deren Scheitern, emotional, aber ohne Pathos.
Das Programm der diesjährigen Tanzplattform setzte statt auf Neuentdeckungen eher auf die Präsentation bekannter Namen wie Susanne Linke, Meg Stuart, Xavier Le Roy, Isabel Schad, Raimund Hoghe, V.A. Wölfl. Jenseits von Entscheidungen des persönlichen Geschmacks zeigte die Veranstaltung aber auch, dass in Deutschland zeitgenössischer Tanz auf hohem Niveau produziert wird – insbesondere im Vergleich zu anderen regionalen Tanzszenen in Europa.
Beitrag aus dem DeutschlandRadio Kultur am 24.03.2008
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