Tanzt, sonst sind wir verloren
2. Benefiz-Tanzgala zu Gunsten der AidsHilfe Münster e.V.
Als gut organisierter Tanzchef muss man Abwechslung ins Programm bringen, auch ein bisschen die Welt draußen ins eigene Haus holen. Hans Henning Paar macht's mit seiner Tanzreihe „Körpersprachen“. Für den Auftakt soeben im Münchner Gärtnerplatztheater konnte er den berühmten Erneuerer des neoklassischen Balletts William Forsythe gewinnen; außerdem Wiesbadens Ballettdirektor Stephan Thoss, der als Gast auch zwischen Hamburg, Stuttgart und Den Haag gefragt ist. Und Marco Goecke, seit 2005 aufstrebender Hauschoreograf des Stuttgarter Balletts. Sein „Sweet Sweet Sweet“ wagt sich auf spannend neue Wege. Drei Tanzschöpfer, die altersmäßig zehn Jahre oder ein bisschen mehr auseinander liegen, das musste zwangsläufig einen Abend von ästhetisch und inhaltlich ganz unterschiedlichem Reiz ergeben.
Bei Forsythes Stück „Trio“ erst einmal eine Bauchreaktion: Was Mensch – und ganz speziell der tanzende Mensch – nicht alles so untersucht an seinem „Bewegungs-Apparat“, kritisch, eitel oder selbstironisch: Eine Stelle am gereckten Hals, an der entblößten Bauchdecke, den Ellbogen oder die Festigkeit der mit zwei Händen vorgepressten Gesäßhälfte. Diese Körper-Expositionen bleiben durchgehend Bewegungs-Motive, auch wenn die Tänzer mit komplexen Schritt-Variationen in den Raum gehen und körpernah zusammentreffen – aber nicht mehr zum traditionellen Pas de trois. Arme, Beine, alle Körperteile fliegen und flitzen durcheinander, verhaken und enthaken sich wieder. Alle Bewegung ist beschleunigt, überdreht, ist – wie die zugespielte Beethoven-Streichermusik – in Bruchstücke zerschlagen, hinter denen das klassische Ausgangsmaterial nur noch entfernt zu erahnen ist. Das ist Bewegungs-Recherche pur, exzellent komponiert, als Performance jedoch etwas spröde. Aber: Sie ist ein höchst anschauliches Beispiel dafür, wie kühn Forsythe die neoklassischen Formen des Balletts aufgebrochen, immer weiter dekonstruiert und damit eine große Freiheit gewonnen hat.
Von dieser Freiheit für neue Formen hat die ganze nachgewachsene Choreografen-Generation profitiert. Auch Stephan Thoss, der über die Modern-Dance-Meister Jiri Kylián und Mats Ek zu einem Stil des extrem flexiblen Oberkörpers gefunden hat. Thoss schmiedet seine Tänzer zu skurrilen Figuren, die, den Torso fast zum Fragezeichen gebogen, mit bizarr gestikulierenden Armen in eine Art gestischen Geheimsprache-Dialog treten. Aber das Stück an sich baut keine Spannung auf zu Prokofjews „Visions fugitives“, kriegt keinen rechten Bogen.
Der Entschluss zur totalen Freiheit bei Marco Goecke, der erst 2001 zu choreografieren begann. Die Bühne, ebenfalls von ihm, ist mit hunderten von graphitgrauen Luftballons bedeckt. Durch dieses bei geringster Berührung bewegliche Feld pflügen mit kurzen, schnell vorwärtstreibenden Schritten die Tänzer: einer, zwei, auch mal eng umschlungen, oder alle vierzehn. Es sind fiebrig bewegte Figuren, Arme und Hände in ständig nervösem Flattern und Zittern. Alles fremdartige Bewegungen, vielleicht Tieren abgeschaut, in rasendem Tempo, hockend, kniend, springend, durch die Ballons rollend, und dabei in der Luft das Rascheln von zerknittertem Papier und tibetanische Mönchs-Gesänge. Man weiß nicht genau, was das alles bedeuten soll. Aber das Stück ist voller Überraschungen, fasziniert mit seinen bildnerischen Formen (die Rücken der Tänzer, wie aus Marmor gemeißelt). Ist eine verrätselte Liebesgeschichte, ist fantastischer Traum und animistisches Ritual, und, wie alle Stücke an diesem Abend, phänomenal gut getanzt von Henning Paars Tanztheater München.
Man sollte doch mal vorbeischauen am: 17.02., 19 Uhr; 18., 25., 28.02., 19 Uhr 30.
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