Leise und laute Töne
Pick bloggt über ein Wochenende in Trier
Das Publikum in Trier springt von den Sitzen. Die Piaf macht’s möglich. Für das Tanzstück „Piaf“ von Jean Renshaw ist das Leben des französischen Stars das Vehikel, ihre Chansons sind der Treibstoff und der Eiffelturm das Maß der Fallhöhe. Nichts kommt dem Phänomen Piaf in diesem Tanzprogramm näher als Florence Absolu. Die Stimme der in Trier lebenden Französin sprüht vor Temperament. Mit eindringlicher Zurückhaltung und begleitet von ihrer vierköpfigen Band - Christoph Oury (Akkordeon), Vincent Posty (Kontrabass), Hemmi Donie (Flügel) und Oliver Rohles (Schlagzeug) - spannen die fünf Musiker auf der leicht abgesenkten Vorderbühne den dramaturgischen Bogen.
Allein die zwanzig Arrangements der Piaf-Interpretin sind den Abend wert. „Wenn er mich in die Arme nimmt und ganz leise mit mir spricht, dann sehe ich das Leben rosarot“ schmetterte einst die lebens- und liebeshungrige Edith Piaf, die in den Hungerzeiten des ersten Weltkriegs 1915 in Paris in Verhältnisse geboren wurde, die man heute prekär und bildungsfern nennen würde. Die Mutter Kaffeehaussängerin, der Vater Schlangenmensch in einem Wanderzirkus, wächst sie bei der Großmutter auf. Erst 15-jährig verlässt der Teenager das Haus und tingelt singend durch die Straßen, Cafés und Kneipen. Zum Markenzeichen wird „La vie en rose“. Ein Liebesbekenntnis, das um die Welt kreist und ihre Karriere in schwindelerregende Höhen stemmt.
Auf der dunklen Bühne zeichnet Renshaw das Milieu: eine Mutter mit Zigarette, Bierflasche und Kinderwagen, dem der Bühnenbildner die Aufschrift „Piafmobil“ gegeben hat. Ewiges Babygeplärre stillt die im Programmheft als „Frau mit dem Kinderwagen“ bezeichnete Figur statt mit Muttermilch mit einem Schluck aus der Pulle. Käufliche Liebe, Sucht und Gewalt, passend musikalisch unterlegt mit „Marie Trottoire“ und „Boulevard du crime“. Ein alter Mann in Anzug und Zylinder humpelt daher. „Die Welt ist schön, Milord!“ erschallt es, während das amüsiersüchtige Völkchen - an deren schwarzen Mänteln das Wort „Hunger“ klebt - mit dem Alten seinen Schabernack treibt. Ein Spiel, das tödlich endet. Nicht der einzige Tod in diesem düsteren Stück.
Weil schon damals die viel zitierte Schere zwischen Arm und Reich klaffte – Stichworte dazu sind erster Weltkrieg, Weltwirtschaftskrise und zweiter Weltkrieg - stellt die britische Choreografin den „Hungrigen“ die „Goldene Gesellschaft“ gegenüber, zu deren Liebling der „Spatz von Paris“, wie man die nur 1.47 Meter große Chansonniere zärtlich nannte, aufsteigt. Eine reich gedeckte Tafel schwebt kopfüber in der Luft, darunter tanzt die Piaf auf einem leeren Tisch - „Padam, Padam“ - von einem Mann zum andern. „Les mots d’amour“ dreht sich das Karussell der Liebhaber unter wilden Liebesschwüren, um dann bei der Beziehung zum Boxer Marcel Cerdan zu verharren. Wie sie auf der Bühne, ist er der Aufsteiger im Ring. Während Frankreichs prominentester Exportartikel 1949 auf Gastspielreise in New York weilt, macht sich der Weltmeister im Mittelgewicht auf den Weg zur Geliebten und stürzt mit dem Flugzeug ab. „Marcel Cerdan hat mein Leben verwandelt! Bevor ich ihn kannte, war ich nichts.“
Der tragische Tod Cerdans signalisiert im Tanzstück die Schnittstelle von biografischer Erzählung zu spekulativem Ausblick in eine vermeintlich glückliche Zukunft. In einer Traumsequenz lässt Renshaw ihre Protagonistin Juliane Hlawati ein Brautkleid überstreifen und Noala de Aquino in der Rolle des Boxers aus dem Sarg springen, arrangiert beide zu einem Hochzeitsbild. Dem bürgerlichen Traum vom kleinen Glück folgen ein böses Erwachen, die Flucht in die Drogen und der endgültige Absturz.
Choreografisch bietet das Tanzstück nichts Neues, ein Mix aus gemäßigt Zeitgenössischem – getanzt wird in Socken und Schläppchen -, zitierten Gesten und einigen klassischen Einsprengseln. Zu den Mängeln des Stückes gehört neben szenischen Längen und einem nicht vorhandenem Lichtkonzept die Fehlbesetzung der Hauptrolle. Aufgesetzte Allerweltsverzweiflung, pantomimisch bemühte Kindlichkeit eines athletisch breitschultrigen, akademisch trainierten Körpers: bis auf das Schlussbild zeigt Juliane Hlawati nichts vom kunst- und drogeninfizierten Körper der tragischen Heldin. Ende der Illusion, Schluss mit der Hymne an die Liebe unter dem Himmel von Paris: Die Seitenvorhänge fahren hoch, Bühnenarbeiter räumen die Mikros auf und rollen den Tanzboden ein. Einmal mehr setzt der Bühnen- und Kostümbildner Ingomar originelle Akzente. Unter dem schwarzen Boden taucht eine riesige Tricolore auf. Darauf die vom Alkohol geschüttelte, vor Schmerz vibrierende, zum Monument erstarrte Piaf alias Hlawati. Neben das schlotternde Elend stellt ein Tänzer jenen Miniatur-Eiffelturm, den er zu Beginn des Stückes vergeblich ans Publikum hatte verhökern wollen. „Non, je ne regrette rien“. Wer hätte das zu guter Letzt nicht erwartet?
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