Royals unter sich
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Das English National Ballet gastiert mit „Strictly Gershwin“ in der Royal Albert Hall London
In London geht es rund und das darf man durchaus wörtlich nehmen. Die Royal Albert Hall ist, wie schon der Name sagt, kein Theater, und die Präsentation des English National Ballet gehorcht im Hallenrund begreiflicherweise anderen Gesetzen: Die Arenabühne ist von allen Seiten einsehbar, und ein Haus mit 4332 Plätzen will dreizehn Abende lang in Folge verkauft sein. Da ist mit exklusiver Ballettkunst nichts zu machen, und Derek Deane „bedient“ den Massengeschmack so, dass er dabei eine Auslastung von mehr als 90% erreicht. Dass dem ehemaligen Direktor des English National Ballet „Strictly Gershwin“ nicht im selben Maße gelingt wie im Jahr zuvor ein perspektivenreicher „Schwanensee“ mit über siebzig Tänzern, hat allenfalls die Londoner Kritik überrascht. Deane ist kein zweiter Maurice Béjart, dessen „Nijinsky“ man sich in der Royal Albert Hall gut vorstellen kann, und deshalb braucht man sich eigentlich nicht zu wundern, wenn sein neuerlicher Versuch künstlerisch eher indifferent gerät. Dabei lässt die eröffnende „Classe“ noch hoffen. Choreografiert wie ein sternförmiges Exercice, verspricht das Ensemble Klassik vom Feinsten. Und in der Tat, die nachfolgende Nummer „The Man I Love“ fokussiert zu einem Song von George Gershwin eine Agnes Oaks, die sich ihren Thomas Edur herbeisehnt. Der Mann ihrer Träume erscheint denn auch, und ein Pas de deux entwickelt sich: pointiert und eine Spur zu posenhaft.
Vielleicht muss das so sein, um sich abzusetzen von den anderen Programmteilen. Auf die beiden Senior Principals jedenfalls folgt Barbara Cooks, seit 1951 ein Star am Broadway, und sie singt „I‘ve Got A Crush On You“ so sinnenhaft und ausgereift, als wollte sie damit ihr eigenes Alter Lügen strafen. Douglas Mills und Paul Robinson steppen erst mal fulminant ihre „Fascinatin‘ Rhythms“, bevor Lilia Kopylova und Darren Bennett in bester Ballroom-Tradition ihren Tango so ausreizen, als wollten sie damit das ganze Publikum verführen. Doch da ist das English National Ballet vor, das gottlob nicht bloß „An American in Paris“ präsentiert, ein Stück, so kindisch und klischeehaft, dass man es am liebsten vergessen möchte, bevor man es überhaupt gesehen hat. Schade um ein GI-Talent Guillaume Côté aus Kanada, der in den ersten Vorstellungen mit Tamara Rojo tanzte, in den späteren mit Fernanda Oliveira.
Doch „Strictly Gershwin“ ist damit noch längst nicht am Ende, und nach der Pause heißt es nicht mehr „Gershwin on Broadway“, sondern „Gershwin in Hollywood“: Eine gute Gelegenheit, den Abend nicht nur Cyd Charisse zu widmen, die kurz zuvor verstorben ist, sondern auch ihrer beiden Partner zu gedenken, die die Begrenztheit ihrer Genres immer wieder ignoriert haben. Für Bruchteile einer Sekunde werden Fred Astaire und Gene Kelly auf drei Leinwänden noch einmal lebendig, und auf der Bühne lässt der „farbige Abglanz“ keinen Wunsch unerfüllt. „Lady Be Good“ nennt sich eine Nummer, die zwischen Step und Ballett hin und her wechselt. „Summertime“ eine andere, bei der Thomas Edur seine angebetete Agnes Oaks auf Händen trägt und dabei noch so tanzt, wie man es von ihm erwartet: ohne Fehl und Tadel. „Someone to Watch Over Me“ die dritte, die Barbara Cook, Lilia Kopylova und Darren Bennett kontrastreich zusammenführt. Grenzüberschreitend nicht zuletzt „Who Cares?“ – leider nicht von Balanchine, doch die acht Principals des English National Ballet machen auch als Ballroom-Protagonisten gute Figur.
Ende gut, alles gut. Nach „I Got Rhythm“ als vorweggenommenes Finale tanzt Friedemann Vogel seinen „Gershwin“ so „strictly“, wie es sich Derek Deane wohl erträumt: ganz in sich ruhend und dabei doch so sprunghaft, wie man es sich das von dem Sendboten des Stuttgarter Balletts erwartet. Der Solitär aus dem Schwäbischen ist eine der Haupt-Attraktionen, und sein Auftritt in der „Rhapsody in Blue“ setzt denn auch einen Schlusspunkt ganz nach dem Gusto des Publikums: voller Noblesse, grandios in seiner tänzerischen Ausgestaltung und keineswegs desorientiert durch die unzähligen Zuschauer, die ihm bei jeder Drehung sozusagen im Nacken sitzen. Unbeeindruckt trumpft er auf und mit ihm an diesem Abend Daria Klimentová, eine Partnerin, die zu ihm wirklich passt. Und die natürlich wunderschön ausschaut in ihrem nachtblauen Tutu, das Kostümbildnerin Roberta Guidi di Bagno mit unzähligen Swarovski-Kristallen übersäht.
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