Noch immer authentisch

Pina Bauschs „Kontakthof mit Teenagern ab 14“

Wuppertal, 11/11/2008

Aus Alt mach Jung. Vor 30 Jahren hat Pina Bausch am Tanztheater Wuppertal ihren „Kontakthof“ eingerichtet, und noch immer funktioniert er als ein Ort der ersten Begegnung. Und das nicht nur bei den eigenen Leuten, die das Stück seinerzeit zu einem Ereignis gemacht haben, sondern seit 1999 auch mit „Damen und Herren ab 65“, die in den „Kontakthof“ die Erfahrung ihres Alters einbringen, noch einmal ihre Sehnsüchte ausleben, am Ende gar gegen den Tod antanzen: ein ebenso erschütterndes wie erheiterndes Experiment, das die Grenzziehung zwischen Fiktion und Fakt auf eine wundersame Weise überwunden hat - und mittlerweile zu einer Überlebensstrategie einer älteren Tänzer-Generation geworden ist.

Wenn ein Jahrzehnt später ein „Kontakthof mit Teenagern ab 14“ folgt, erscheint das nur allzu natürlich. Schließlich ist auch eine Pina Bausch neugierig darauf, was Jugendliche ihrer Unerfahrenheit zum Trotz über „Liebe, Zärtlichkeit, Enttäuschung, Verzweiflung, Hass und Neid“ wissen. Mehr als 40 Schüler aus elf Schulen und Schulformen haben fast ein Jahr lang in zwei Besetzungen unter Anleitung von Bénédicte Billiet und Josephine Ann Endicott ihren „Kontakthof“ erarbeitet. Herausgekommen ist eine aufregende Aufführung.

14 ist nach der langen Probenzeit allerdings keiner mehr von den Teenagern, und ihre Naivität in Gefühlsangelegenheiten hat in der Zeit der Eingewöhnung nachgelassen. Aber die andere Authentizität der Aufführung ist noch immer zu beobachten. Noch immer scheinen einige ihrem Körper so entfremdet, dass sie sich im Tanz erst überwinden müssen und, von den anderen mitgerissen, erst mit der Zeit die Leichtigkeit des Seins unter ihren Füßen spüren. Schritt um Schritt fühlen sie sich sicherer, und am Ende des ersten Aktes sind sie so selbstbewusst, dass sie ganz locker vom Hocker über ihre ganz persönlichen Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht sprechen können. Das hätten sich die Älteren in der- selben Situation nie zugetraut.

Von Joy Wonnenberg angeführt (mit der dem Tanztheater Pina Bausch möglicherweise eine jüngere Performerin zuwächst) gewinnt der „Kontakthof“ eine Aussagekraft, die über die unfreiwillige Komik eines Tanzstundenballs weit hinausreicht. Das Rollenspiel hat sich offenbar kaum verändert. Die Wünsche, Hoffnungen und Sehnsüchte ebenso wenig. Und wenn der Anzug auch nicht so richtig sitzt, die Krawatte zwischendurch verrutscht oder das Kleid in der Hüfte zwickt, wird doch einmal offenbar, was die Menschen im Innersten bewegt: egal, ob sie über 65 sind (wie in der anderen Version) oder nicht viel älter als 14. Bewegend, ja berührend jedenfalls die Szene, in der sich Maria Färber und Alexandros Sarakasidis gegenübersitzen und einander quer über die ganze Bühne zum Ausziehen animieren. Da spürt man auf einmal eine Scham, eine Sensibilität und Verletzbarkeit, wie sie wohl nur diesen Jugendlichen eigen ist. Wie schön, einen solchen Augenblick der Wahrheit erleben zu können - und wie viel versprechend als Auftakt des Tanzfestivals Nordrhein-Westfalen.

 

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern